Position des BLL zum Thema „Spureneinträge von in der EU nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen (GVO)“
- Nach den geltenden europäischen Rechtsvorschriften (Verordnung (EG) Nr. 1829/2003) besteht für nicht in der Europäischen Union zugelassene gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) ein absolutes Verkehrsverbot. Auf das Vorliegen einer Gesundheitsgefährdung kommt es für die fehlende Verkehrsfähigkeit dieser Ware nicht an; allein der Nachweis minimaler Spureneinträge derartiger GVOs reicht für die Nichtverkehrsfähigkeit der betroffenen Produktcharge aus. Dieses absolute Verkehrsverbot gilt auch für Lebensmittel und Futtermittel, die aus nicht zugelassenen GVOs hergestellt sind oder Zutaten enthalten, die wiederum aus nicht zugelassenen GVOs hergestellt wurden.
Diese Rechtslage führt dazu, dass im Hinblick auf Spuren nicht zugelassener GVOs formalrechtlich eine Nulltoleranz in der Europäischen Union existiert, mit der Folge, dass jeglicher, noch so geringfügige Spurennachweis dieser GVO in Lebensmitteln und Futtermitteln zu einer Nichtverkehrsfähigkeit der betroffenen Produktcharge führt. Angesichts des absoluten Nullwertes und der hochsensitiven Analysenmethoden schwebt über sämtlichen Einfuhren aus Staaten, in denen die importierten Pflanzen auch in gentechnisch veränderter Form angebaut werden, immer das Damoklesschwert der Nichtverkehrsfähigkeit. Die seit Juli 2009 im Europäischen Schnellwarnsystem verstärkt auftretenden Funde von Spureneinträgen in der EU nicht zugelassener GVOs (insbesondere Einträge von in der EU sicherheitsbewerteten, aber nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Maissorten in Soja) unterstreichen die von der Futter- und Lebensmittelwirtschaft in den letzten Monaten wiederholt betonte Notwendigkeit, aufgrund des stetig ansteigenden internationalen Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen, des international unterschiedlichen Zulassungsumfangs und des weltweiten Handels mit Rohstoffen zu einer zügigen Änderung der gemeinschaftlichen Rechtsvorgaben zu kommen. Ein absoluter Nullwert ohne jeglichen Bewertungsspielraum erscheint auch nach Auffassung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) (Positionspapier „Nulltoleranz in Lebens- und Futtermitteln“ vom 12. März 2007) nicht mehr praktikabel.
Die Rechtsvorgabe des absoluten Nullwertes sowie die immer sensitivere Analytik auf der einen Seite und die im Rahmen des weltweiten Handels mit Massengütern bestehende technische Unmöglichkeit eines vollständigen Ausschlusses minimalster Spureneinträge auf der anderen Seite führen dazu, dass die Einfuhr von Sojabohnen und Sojaschrot aus den USA in die Europäische Union de facto verhindert wird. Das finanzielle Risiko des Ausfalls ganzer Schiffsladungen aufgrund des Nachweises von technisch unvermeidbaren Minimalspureneinträgen führt zu einem präventiven Ausschluss von Sojalieferungen in die EU. Die geltenden Rechtsvorgaben in der Europäischen Union tragen nicht mehr den Realitäten und Machbarkeiten des internationalen Warenhandels Rechnung und führen damit zu einem faktischen, präventiven Importstopp für die betroffenen Warengruppen. Die aktuelle Situation führt schon jetzt zu Lieferausfällen und in Kürze könnten nicht nur Importeure und Ölsaatenverarbeiter, sondern auch die Hersteller von Lebens- und Futtermitteln sowie die Nutztierhaltung in der gesamten EU betroffen sein. Unverändert können die Mitgliedstaaten der EU einschließlich Deutschland den Bedarf an Eiweißfuttermitteln nicht aus heimischen Quellen decken und sind daher auf Importe aus dem Ausland angewiesen: Im Futtermittelsektor werden beispielsweise über 75 % des Bedarfs an Eiweißfuttermitteln durch importierte Ölsaaten und Schrote gedeckt. 2008 musste allein Deutschland mehr als 3,3 Mio. t Sojabohnen und rd. 2 Mio. t Sojaschrot importieren.
Im Jahr 2009 ist die Importsituation der EU ohnehin in einer angespannten Situation, da aufgrund einer Trockenperiode in Südamerika Anfang des Jahres 19 Mio. t weniger Sojabohnen für den Weltmarkt zur Verfügung stehen. Um den Bedarf an Eiweißfuttermitteln in der EU zu decken, gibt es keine realistische Alternative zu Sojabohnen. Daher wird die europäische In-dustrie zwischen Herbst 2009 und der nächsten Ernte in Südamerika im März 2010 6 bis 7,5 Mio. t Sojabohnen aus Nordamerika einführen müssen, um den Bedarf im Lebensmittel- und Futtermittelsektor decken zu können. Voraussetzung für die notwendigen Importe ist jedoch, dass eine Lösung für die Funde von geringen Spuren von in der EU noch nicht genehmigten, aber bereits durch die EFSA sicherheitsbewerteten GVO gefunden und somit ein faktischer Importstopp aus Nordamerika aufgehoben wird. Die ökonomischen Auswirkungen in der EU bei einem kompletten Ausfall der US-Sojabohnenimporte werden derzeit auf einen Verlust von 3,5 bis 5 Mrd. Euro Umsatz geschätzt.
Eine Lösung könnte mittelfristig in der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen und / oder in einer Schwellenwertregelung liegen, um der unterschiedlichen Zulassungssituation vor allem zwischen Nordamerika und Europa Rechnung zu tragen. Eine derartige praxisnahe und an den Marktrealitäten orientierte Lösung wird beispielsweise von der ansonsten gentechnik-kritischen Schweiz seit 2008 praktiziert, um Beeinträchtigungen des Handelsverkehrs und der Versorgung mit Rohstoffen zu vermeiden. Kurzfristig ist aus Sicht des BLL eine sog. „technische Lösung“ für Spureneinträge von GVO in Lebensmitteln und Futtermitteln, die außerhalb der EU nach den Risikobewertungsleitlinien des Codex Alimentarius zugelassen wurden, unumgänglich, um Rechtssicherheit für die importierenden Unternehmen zu schaffen.
Für weitere Informationen:
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