Der BLL und die Geschichte der Lebensmittelkennzeichnung
Ein Schwerpunktthema des BLL war und ist seit jeher die Kennzeichnung von Lebensmitteln. Sie war zunächst auf nationaler Ebene mit einigen wenigen Anforderungen für eine begrenzte Anzahl von Produkten vorgeschrieben und hat sich als europäisches Recht zu einer Vielzahl von Informationselementen ausgeweitet, die praktisch das ganze Lebensmittelangebot betreffen.
Wie viel Information ist notwendig?
Zweck der Kennzeichnung war zunächst, den Verbraucher beim Erwerb von verpackten Lebensmitteln vor Übervorteilung hinsichtlich der Beschaffenheit, der Menge, des Gewichts sowie der Frische zu bewahren. Über den Schutz vor Irreführung hinausgehend dient die Lebensmittelkennzeichnung heute der möglichst umfassenden Information der Verbraucher, um sie in die Lage zu versetzen, eine ihren Wünschen und Bedürfnissen entsprechende, eigenverantwortliche Kaufentscheidung zu treffen.
Ansichten eines BLL-Präsidenten 1956
Seit jeher wurde diskutiert über Inhalt und Ausmaß der Kennzeichnung sowie über ihren Nutzen für den Verbraucher. In der Mitgliederversammlung am 5. Juni 1956 erläuterte der BLL-Präsident Dr. Walter Kraak die damaligen Vorbehalte der Wirtschaft im Einzelnen:
„Sie (die Lebensmittelwirtschaft) glaubt aber nicht, dass bei der großen Vielfalt auf dem Lebensmittelgebiet und bei der Kompliziertheit der Herstellungsverfahren dem Verbraucher mit detaillierten Angaben gedient sein würde. Im Gegenteil: Solche detaillierten Angaben würden nach unserer Meinung zu einer Vielzahl von Missverständnissen führen. Die Deklaration hat sich in ihrer Anwendung in Deutschland als eine Warnung eingebürgert. Sie wird vom Verbraucher auch stets als solche aufgefasst…. Unter diesen Umständen wäre es ein schwieriges Beginnen, dem Verbraucher klarzumachen, dass derartige Kenntlichmachungen künftighin nur zu seiner Orientierung dienen sollen, also auch dann ausgesprochen werden, wenn er keinerlei Nachteile zu befürchten hat. Eine so eingebürgerte Volksmeinung lässt sich nicht einfach durch ein neues Gesetz umformen…“.
Ansichten der WHO/FAO 1956
Selbst in der Beschlussfassung eines internationalen Komitees der FAO und WHO aus dem Dezember 1956 wird offenkundig, wie unsicher und zurückhaltend man gegenüber einer umfassenden Zusatzstoffkennzeichnung war:
„Der größte Teil der Verbraucher kennt die Natur und den Nutzen der Zusatzstoffe nicht; es würde daher Unruhe und Misstrauen in den Geistern erregen, wollte man eine gesetzliche Verpflichtung der Nennung der chemischen Bezeichnungen und der Konzentration der verwendeten Zusatzstoffe auferlegen. Es genügt, die Anwesenheit einer bestimmten Kategorie kenntlich zu machen…“.
Zurückhaltung vs Transparenz
Diese „Zurückhaltung“ gegenüber einer umfassenden Kennzeichnung ist heute überwunden, hat sich doch das Primat einer möglichst großen „Transparenz“ durchgesetzt. Selbstverständlich wird auch heute noch im Detail über die Sinnhaftigkeit einer Kennzeichnungsverpflichtung diskutiert, das Prinzip ist jedoch weitgehend unbestritten.
Kennzeichnung zur BLL-Gründungszeit
Zur Zeit der Gründung des BLL galt noch die Verordnung über die äußere Kennzeichnung von Lebensmittel aus dem Jahre 1936 mit einigen zwischenzeitlich erfolgten Änderungen. Ihr unterlagen eine Reihe abschließend aufgezählter Lebensmittel, und als Kennzeichnungselemente waren – lediglich - vorgeschrieben die Angabe des verantwortlichen Herstellers oder Inverkehrbringers, des Inhaltes nach handelsüblicher Bezeichnung und des Inhaltes nach deutschem Maß und Gewicht (mit einigen produktspezifischen Modifizierungen).
Weiter wurde bestimmt, dass die Vorschriften auch für aus dem Ausland eingeführte Lebensmittel gelten. Mit der sogenannten Datierungsverordnung aus dem September 1966 wurde als entscheidende Neuerung bei bestimmten Lebensmitteln (Fleisch, Fleischerzeugnisse, Fisch, Fischerzeugnisse, Krusten-, Schalen- und Weichtiere und die jeweiligen Erzeugnisse daraus) das Herstellungsdatum vorgeschrieben, unter bestimmten Voraussetzungen das Abpack- oder Abfülldatum (diese Angaben konnten entfallen, wenn stattdessen das Mindesthaltbarkeitsdatum angegeben wurde).
Lebensmittelkennzeichnungs-Verordnung
Eine in quantitativer und inhaltlicher Hinsicht umfassende Neuordnung des Lebensmittelkennzeichnungsrechtes brachte die europäische Rechtsharmonisierung. Mitte der siebziger Jahre legte die EG-Kommission den Entwurf einer Richtlinie für die Kennzeichnung von Lebensmitteln vor, der nach vierjähriger Beratung Ende 1978 verabschiedet wurde. Die Richtlinie betraf die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (sie wurde im März 2000 durch eine Neufassung abgelöst). Ihre Umsetzung in deutsches Recht fand sie in der Lebensmittelkennzeichnungs-Verordnung (LMKV) aus dem Dezember 1981. Die Verordnung galt grundsätzlich für alle verpackten Lebensmittel. Ausgenommen waren einige Produktbereiche, die bereits in vertikal europäischen Richtlinien und auch Verordnungen geregelt waren. Vorgeschrieben waren die Verkehrsbezeichnung, Name (oder Firma) und Anschrift des Herstellers, des Verpackers oder eines in der EWG niedergelassenen Verkäufers, das Verzeichnis der Zutaten sowie das Mindesthaltbarkeitsdatum als die alleinige Datumsangabe.
Mit der LMKV betrat die Lebensmittelwirtschaft Neuland, und es ergab sich ein umfassender Informations- und Beratungsbedarf. Dieser ist vom BLL mit größtem Aufwand abgedeckt worden, sei es durch unzählige Hilfestellung im Einzelfall, sei es durch allgemeine und auch branchenspezifische Seminarveranstaltungen. Der BLL hat dadurch nicht nur an eigener Expertise sondern an Renommee bei seinen Mitgliedern und darüber hinaus gewonnen. Fortan war die Lebensmittelkennzeichnung ein Schwerpunkt der BLL-Arbeit, der auch darin begründet ist, dass das Kennzeichnungsrecht immer „in Bewegung“ war und ist, ergänzt, verfeinert und ausgeweitet wird.
EU-Lebensmittelinformations-Verordnung
Die LMKV ist – de facto am 13. Dezember 2014 – durch die EU-Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) aus dem Jahre 2011 abgelöst worden. Um 2007 / 2008 war die EU Kommission angetreten, das Lebensmittelkennzeichnungsrecht neu zu ordnen. Die LMIV hat eine neue Dimension eröffnet. Sie geht über die Kennzeichnung hinaus, denn sie spricht nicht nur die packungsbezogenen Angaben sondern generell die Information über Lebensmittel (auch auf anderen Wegen) an. Zusätzlich zu den bisherigen, modifizierten Kennzeichnungselementen werden eine umfassendere Herkunftskennzeichnung vorgesehen und eine verbindliche Nährwertdeklaration (ab Ende 2016) vorgeschrieben. Darüber hinaus ist eine Mindestschriftgröße festgelegt, der Fernabsatz wird spezifisch geregelt und die Allergiekennzeichnung im Rahmen der Zutatenliste prominent gestaltet. Eine Reihe der Anforderungen, so bezüglich der Herkunftsangaben, kann erst wirksam werden, wenn entsprechende Durchführungsvorschriften erlassen worden sind.
Bei nicht vorverpackten Lebensmittel („lose Ware“) ist lediglich die Allergieinformation verbindlich vorgesehen, wobei die Art und Weise der Regelungskompetenz der Mitgliedsstaaten vorbehalten bleibt. Hiervon hat der deutsche Verordnungsgeber in letzter Minute Gebrauch gemacht, kurz bevor die LMIV am 13.Dezember 2014 Geltung erlangt hat. Ansonsten sind bei loser Ware alle anderen Kennzeichnungselemente nicht verpflichtend, es sei denn die Mitgliedsstaaten treffen eine abweichende Regelung.
Umsetzung der LMIV
Der BLL hat die Erarbeitung der LMIV von Anfang an mit größter Intensität begleitet. In vielen Veranstaltungen hat er die Lebensmittelwirtschaft auf das neue, umfassende Gesetzeswerk vorbereitet. In zwei Workshops mit der amtlichen Lebensmittelüberwachung der Bundesländer und unter Beteiligung der Bundesebene (über 200 Teilnehmer) hat er versucht, bei den vielen ungeklärten Fragen möglichst eine Verständigung auf eine gemeinsame Interpretation zu erreichen. Diese Aufgaben – Information, Hilfestellung gegenüber der Branche (Unternehmen und Verbänden) und Suche nach gemeinsamen Lösungen mit der amtlichen Lebensmittelüberwachung – werden für den BLL auch in den kommenden Jahren eine Herausforderung sein.
Nährwertkennzeichnung
Zu Beginn der 1970er Jahre begann sich der BLL mit der Nährwertkennzeichnung zu befassen. Hintergrund war die Absicht des Verordnungsgebers, klare Regelungen für Werbeaussagen im Hinblick auf Kalorien und bestimmte Nährstoffe zu schaffen.
Im Dezember 1977 wurde dann die Nährwert-Kennzeichnungsverordnung (NKV) erlassen. Sie schrieb die Nährwertkennzeichnung nicht verbindlich für alle Lebensmittel vor, sondern nur dann, wenn freiwillig nährwertbezogene Angaben (Angaben über den Energiegehalt/Brennwert oder die sich auf den Gehalt an Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate oder Alkohol beziehen) gemacht werden. Die Verordnung folgte damit dem Prinzip der optionell/obligatorischen Nährwertkennzeichnung. Lediglich im Bereich der Diätverordnung war eine Nährwertkennzeichnung verbindlich vorgeschrieben.
Des Weiteren enthielt die NKV ein Verbot von Bezeichnungen, Angaben oder Aufmachungen, die daraufhin deuten, dass ein Lebensmittel schlankmachende, schlankheitsfördernde oder gewichtsverringernde Eigenschaften besitzt sowie konkrete Anforderungen an Hinweise auf einen geringen und verminderten Brennwert bzw. auf einen verminderten Nährstoffgehalt.
Abgelöst wurde die NKV durch die LMIV am 13. Dezember 2014. Sie schreibt eine verbindliche Nährwertdeklaration vor, allerdings erst ab 13. Dezember 2016. Will man bis dahin freiwillig eine Nährwertkennzeichnung vornehmen, so muss man sich allerdings an die Vorgaben der LMIV halten. Ab Dezember 2016 muss jedes verpackte Lebensmittel mit einer Nährwertdeklaration versehen werden.
BLL befürwortete freiwillige Nährwertkennzeichnung
Jahrelang hatte der BLL in Übereinstimmung mit seiner grundsätzlichen Haltung zur Vermeidung überflüssiger staatlicher Regelungen eine verbindliche Nährwertkennzeichnung abgelehnt, da sie freiwillig immer weitere Verbreitung fand. Konsequenter Weise hat er wiederholt an die Wirtschaft appelliert, aus Eigeninitiative Nährwertkennzeichnung vorzunehmen. Vom BLL in Auftrag gegebene Erhebungen zeigten, dass dies gefruchtet hat und mit der Zeit bis zu 80 Prozent der verpachten Lebensmittel Nährwertinformationen trugen.
Seit der ersten Nährwertkennzeichnungsverordnung aus dem Jahre 1977 hat sich der BLL intensiv mit dieser schwierigen Rechtsmaterie befasst. Er hat zu den verschiedenen Entwicklungsphasen dieses Rechtsbereiches Leitfäden erstellt, die den rechtsunterworfenen Unternehmen wertvolle Hinweise für den Umgang mit den Anforderungen gaben.
Claims-Verordnung
Vor dem Hintergrund der Irreführungsverbote (wissenschaftlich nicht hinreichend gesicherte oder fehlende Wirkungen und Eigenschaften) und des Verbotes der krankheitsbezogenen Werbung ist es oftmals ein schmaler Grat auf dem sich Aussagen zur gesundheitlichen Wirkung eines Produktes bewegen, da auch die relative Bedeutung eines einzelnen Produktes im Rahmen einer Gesamternährung – nur die kann gesund oder ungesund sein – zu beachten ist.
EG-Etikettierungsrichtlinie 1979
Vor diesem Hintergrund wurde schon auf der Basis der EG-Etikettierung-Richtlinie 1979 überlegt, eine Liste zulässiger Aussagen zu erstellen. Über viele Jahre scheiterten entsprechende Versuche und erst Ende 2006 wurde mit der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel ( sog. Claims Verordnung) ein Rahmen geschaffen, der grundsätzliche Anforderungen an nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben aufstellte, durch Einzelzulassungen jedoch erst ausgefüllt werden musste (und immer noch muss). Der europäische Verordnungsgeber wollte damit ein hohes Schutzniveau gewährleisten, um dem Verbraucher die verantwortungsvolle Wahl seiner Produkte zu ermöglichen. Herausgekommen ist ein äußerst komplexes Regelungssystem, das zu einem extrem hohen Verwaltungsaufwand auf Seiten der Behörden und zu Frustration bei den Unternehmen geführt hat, weil sie in ihren Aussagemöglichkeiten stark eingeschränkt werden. Die Verordnung ist ein Musterbeispiel für „gut gemeint“, aber „nicht gut gemacht“.
Verbot mit Erlaubnisvorbehalt
Die Verordnung folgt dem Prinzip des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt; nährwertbezogene Angaben dürfen nur gemacht werde, wenn sie im Anhang aufgeführt sind und darüber hinaus den sonstigen Bestimmungen der Verordnung entsprechen. Im Anhang finden sich beispielsweise die Voraussetzungen für die Verwendung von Begriffen wie „energiereduziert“, „arm an gesättigten Fettsäuren“, „zuckerfrei“ oder auch „leicht“.
Liste gesundheitsbezogener Angaben
Gesundheitsbezogene Angaben dürfen nur verwendet werden, wenn sie ausdrücklich zugelassen sind, je nach Charakter nach einem vereinfachten oder einem umfangreichen Verfahren. Die Zulassung erfolgt durch die EU-Kommission nach einem bestimmten Procedere, in das die Mitgliedstaaten eingebunden sind. Vorab – und das ist ganz entscheidend – gibt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ihre Stellungnahme zu der Frage ab, ob die gesundheitsbezogene Angabe durch wissenschaftliche Nachweise abgesichert ist. Die EFSA ist in ihrer wissenschaftlichen Bewertung unabhängig und hat dabei stets strenge Maßstäbe angelegt.
Bis Anfang 2008 waren die Mitgliedsstaaten aufgefordert, der EU-Kommission eine Liste der gesundheitsbezogenen Angaben zu übermitteln, die sich nicht auf die Verringerung eines Krankheitsrisikos oder auf Angaben über die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern beziehen. Von Seiten der Wirtschaft wurden den Mitgliedsstaaten insgesamt über 40.000 Angaben vorgeschlagen. Diese wurden gesichtet und auf ca. 4.000 reduziert, die dann über die EU-Kommission der EFSA zur Bewertung zugeleitet wurden. Nach jahrelanger Prüfung wurden mit der Kommissions-Verordnung (EU) Nr. 432/2012 gut zweihundert Angaben zugelassen. Die Gesamtzahl dieser Zulassungen hat sich mittlerweile erhöht, durch Ergänzungen der Verordnung und durch weitere Zulassungen derartiger Aussagen im Einzelfall.
Angaben über die Verringerung eines Krankheitsrisikos sowie über die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern werden angesichts ihrer besonderen Sensibilität und der besonders hohen Schutzbedürftigkeit der Adressaten in einem sehr detaillierten Zulassungsverfahren geprüft. Bisher sind nur einige wenige Aussagen – nach positiver Bewertung der EFSA – zugelassen worden.
Auch die Claims-Verordnung ist ein Thema, das den BLL seit jeher im besonderen Maße gefordert hat und mit dem er sich auch in Zukunft weiter intensiv befassen wird.
Wem dient es?
So selbstverständlich die Lebensmittelkennzeichnung heute ist, so stellt sich doch nach wie vor die grundsätzliche Frage, in welchem Umfang sie vom Verbraucher genutzt und auch richtig verstanden wird, damit sie – ihrer Intention entsprechend – zur Grundlage einer informierten Kaufentscheidung werden kann. Der BLL hat daher immer darauf gedrungen, die Motivation der Verbraucher zu erhöhen, die Kennzeichnung zu nutzen und ihr Verständnis zu verbessern. Dazu hat er über die Jahre selbst viele Beiträge geleistet, sei es durch Vorträge, Broschüre, Erläuterungen im Internet oder interaktive Angebote auf der Internationalen Grünen Woche.