Rückblick

Food Safety Kongress 2025 in Berlin

- Der 17. Food Safety Kongress 2025, der am 18. und 19. Februar in Berlin stattfand, versammelte zahlreiche Expertinnen und Experten aus Lebensmittelwirtschaft, Wissenschaft, Handel, Politik und Start-up-Szene.
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In Keynotes, Fachforen und Roundtables diskutierten die Teilnehmenden zwei Tage lang über zentrale Herausforderungen der Lebensmittelsicherheit und stellten Lösungsansätze vor. Dabei wurde deutlich, dass die Branche trotz wachsender Komplexität und regulatorischer Anforderungen auch erhebliche Chancen sieht – etwa durch neue Technologien, KI-Anwendungen, Innovationen in der Produktion und eine zunehmend globale Zusammenarbeit.

Tag 1

Auftakt: Setting the Scene

Gleich zu Beginn gaben Dr. Marcus Girnau (Lebensmittelverband Deutschland) und Stephan Tromp (Handelsverband Deutschland, IFS Management) einen Überblick über die drängendsten „Pain Points“ der Branche. Dabei standen Themen wie Lieferkettensicherheit, Krisenmanagement, regulatorische Herausforderungen und die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeit und ESG-Strategien im Mittelpunkt. Als Moderator führte Hanno Bender (Lebensmittelzeitung) durch das Programm und knüpfte an, indem er die Bandbreite der Themen für die beiden Kongresstage absteckte.

Prof. Dr. Tanja Schwerdtle auf dem Food Safety Kongress 2025

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Aufgaben des MRI: Keynote von Prof. Dr. Tanja Schwerdtle

In ihrem Vortrag skizzierte Prof. Dr. Tanja Schwerdtle (Max Rubner-Institut) die Rolle des MRI im gesundheitlichen Verbraucherschutz. Sie machte deutlich, dass die Forschung des MRI sowohl einen direkten Beitrag zur Lebensmittelsicherheit leistet als auch in engem Austausch mit anderen Behörden und der Wirtschaft steht. Angesichts neuer Produktionsmethoden und potenzieller Gefahrenquellen bleibe es entscheidend, wissenschaftlich fundierte Kriterien auf dem neuesten Stand zu halten.

EU-Perspektiven: Keynote von Dr. Klaus Berend

Direkt im Anschluss beleuchtete Dr. Klaus Berend (Europäische Kommission) aktuelle Entwicklungen in den Bereichen Lebensmittelsicherheit und nachhaltige Lebensmittel. Im Zentrum standen dabei Novel Foods, neue genomische Verfahren (NGT) und Fragen zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen. Berend betonte, wie stark die Lebensmittelsicherheit künftig mit Themen wie Innovation, Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft verknüpft sein wird. Beispielsweise könnten Kategorisierungen bei neuartigen Lebensmitteln oder klarere Vorgaben zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung für Unternehmen große Umstellungen bedeuten.

Ernährungssicherung und Vorsorge – BMEL-Impulse

Prof. Dr. Dr. Markus Schick (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) machte in seinem Vortrag deutlich, dass sein Haus auf eine zukunftsfeste und sozial gerechte Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme hinarbeitet. Angesichts multipler Krisen – von Klimaveränderungen über Artensterben und Umweltverschmutzung bis hin zu Konflikten und Pandemiefolgen – sei es unverzichtbar, Natur und Ressourcen nachhaltig zu nutzen, um die Ernährungssicherheit zu bewahren. Laut Schick setzt das BMEL alles daran, die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für ein nachhaltiges Agrarsystem zu schaffen und den erforderlichen Wandel aktiv zu gestalten. Konkret beinhaltet das aktuelle Arbeitspaket Maßnahmen wie die Anpassung des Ernährungssicherstellungs- und -vorsorgegesetzes, eine Überprüfung staatlicher Lagerhaltung, die Stärkung der Resilienz im Rahmen des KRITIS-Dachgesetzes und die Entwicklung von Food-Defense-Konzepten zum Schutz vor absichtlichen Kontaminationen in der Lebensmittel- und Futtermittelkette.

ESG – und was nun? Keynote von Dr. Michael Lendle

Dr. Michael Lendle (AFC Consulting Group) erläuterte, wie wichtig es ist, Environment, Social und Governance (ESG)-Themen in Management- und Kommunikationsstrategien zu integrieren. Unternehmen, die ESG-Maßnahmen ernsthaft umsetzen, reduzierten nicht nur Risiken (z. B. bei Menschenrechts- und Umweltverstößen in der Lieferkette), sondern könnten sich gleichzeitig Wettbewerbsvorteile erschließen. Eine glaubwürdige ESG-Performance erfordere allerdings ein systematisches Vorgehen: von der Risikoanalyse bis zur faktenbasierten Kommunikation.

Lieferkettensorgfalt und Verkehrsfähigkeit: Prof. Dr. Markus Grube

In der darauffolgenden Keynote analysierte Prof. Dr. Markus Grube (Grube · Pitzer · Konnertz-Häußler) die Zusammenhänge zwischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette und der Verkehrsfähigkeit von Produkten. Zwar betreffen Sorgfaltspflichten (z. B. LkSG) oft nicht unmittelbar die Produktsicherheit, doch können Verstöße beispielsweise bei Umweltschäden oder sozialen Missständen im Extremfall dazu führen, dass Produkte vom Markt genommen werden müssen. Grube verwies auf entsprechende EU-Verordnungen (u. a. Batterieverordnung), die solche Maßnahmen ermöglichen.

Die harte Realität des Datenmanagements: ImpactBuying und Globus

Prof. Dr. Horst Lang (Globus Markthallen Holding) und Marjan de Bock-Smit (ImpactBuying) verdeutlichten in ihrer gemeinsamen Keynote, welche Datenmengen Händler und Hersteller künftig bewältigen müssen. Die Vielzahl neuer Regulationen (etwa die Corporate Sustainability Reporting Directive – CSRD – und die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten – EUDR) mache eine umfassende Erfassung, Validierung und Analyse von Lieferkettendaten nötig. Gleichzeitig seien Soft-Skills, Vertrauensbildung und Kooperation mit Lieferanten essenziell. Lang und de Bock-Smit bezeichneten dies als „harte Realität“: Wer Transparenz und Konformität gewährleisten wolle, müsse in leistungsfähige IT-Lösungen, klare Prozesse und enge Experten-Kollaboration investieren.

Fachforen am Nachmittag

Ab 14:20 Uhr ging es in drei parallelen Foren ins Detail:

  • Forum 1 (Bisphenol A): Dr. Yvonne Pfeifer (SGS) berichtete über den aktuellen Stand zu Bisphenol A und verwandten Bisphenolen. Unsicherheiten bezüglich toxikologischer Bewertungen und kommende EU-Regulierungen sorgten laut Pfeifer für erheblichen Klärungsbedarf in der Industrie.
  • Forum 2 (Meldepflichten): Markus Paul (Eurofins) umriss die Pflichten bei positiven Befunden und die Anforderungen an Labore und Lebensmittelunternehmer nach Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002, § 44 LFGB und weiteren Vorschriften. Unternehmen müssten schnell und transparent reagieren, um Behörden zu informieren und potenzielle Verbrauchergefährdung zu vermeiden.
  • Forum 3 (Risikomanagement): Marcel Fuchs (Spirax Sarco) zeigte, wie „versteckte Risiken“ in der Lebensmittelproduktion, z. B. durch verunreinigten Dampf oder mangelhafte Wartung, zu erheblichen Qualitäts- und Sicherheitsproblemen führen können. Ein strukturierter Ansatz im Risikomanagement, gepaart mit technischer Überwachung, sei hier entscheidend.

Roundtable Allergenmanagement

Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Frage, wie sich unbeabsichtigte Spuren von Lebensmittelallergenen quantitativ bewerten lassen. Dr. Wolfgang Weber (ifp Institut für Produktqualität) und andere Expertinnen und Experten diskutierten, wie realistische Schwellenwerte festgelegt und rechtssicher kommuniziert werden können. Auch hier spiele die Datenqualität eine große Rolle, um Allergikern größtmöglichen Schutz zu bieten, ohne die Produktion über Gebühr zu einschränken.

Effizienz und Compliance: Keynote von Agriplace

Hanna Kirchner und Adrian Längle (Agriplace) stellten in ihrer Keynote „Effizienz, Compliance und Qualität im Fokus: Erfolgsstrategien für zukunftssicheres Lieferkettenmanagement“ verschiedene digitale Lösungen vor, um Unternehmen bei der Bewältigung schnell wachsender Vorgaben (LkSG, EUDR, CSRD etc.) zu unterstützen. Ein durchgängiges Datenmanagement, automatisierte Abfragen und abteilungsübergreifende Transparenz könnten helfen, Kontrollaufwand zu reduzieren, Risiken rechtzeitig zu erkennen und Audits zu bestehen.

Startup-Pitches: Kreative Lösungen für aktuelle Branchenthemen

Am späten Nachmittag zeigten drei Startup-Pitches, welche Innovationskraft in der Branche steckt:

  • Esencia Foods (Hendrik Kaye): Entwicklung veganer Fleisch- und Fischalternativen mittels Mycelium-Solid-State-Fermentation.
  • MEDEA Biopharma (Giorgi Khubua): Einsatz von Bakteriophagen zur gezielten Bekämpfung schädlicher Mikroorganismen.
  • NEOH (Alexander Gänsdorfer): Zuckeralternative und zuckerfreie Süßwaren mit stabiler Textur und demselben Geschmackserlebnis wie herkömmliche Produkte.

Alle drei Ansätze unterstreichen den Trend, dass alternative Proteine und innovative Haltbarkeits- bzw. Qualitätskonzepte die Zukunft der Lebensmittelproduktion prägen könnten.

Investorenperspektive: Keynote von Benedikt Stoeckert

Den Abschluss des ersten Kongresstages bildete die Keynote von Benedikt Stoeckert (Feast Ventures). Er skizzierte den „Investorenleitgedanken“ bei Investments in Food-Start-ups und erläuterte, dass Risikokapitalgeber verstärkt in nachhaltige und technologische Lösungen investieren. Dabei zählten Skalierbarkeit, technologische Differenzierung und regulatorische Machbarkeit zu den wichtigsten Kriterien. Für junge Unternehmen öffne sich damit ein wachsender, aber anspruchsvoller Kapitalmarkt.

 

Tag 2

Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Andreas Hensel auf dem Food Safety Kongress 2025

Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Andreas Hensel auf dem Food Safety Kongress 2025

© Reinhard Rosendahl
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Eröffnung und BfR-Perspektive

Zum Start in den zweiten Kongresstag skizzierte Moderator Hanno Bender kurz die Learnings aus Tag 1 und leitete über zur Keynote von Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Andreas Hensel (BfR). Hensel hob hervor, dass gesundheitlicher Verbraucherschutz immer stärker zu einer globalen Aufgabe wird – weltweite Lieferketten, neue Rohstoffe und digitale Handelssysteme erforderten eine enge internationale Zusammenarbeit. Gleichzeitig wies er auf die Rolle von Wissenschaft und Forschung hin, die fundierte Risikobewertungen sicherstellen müssen.

Future of Food: Keynote von Dr. Marc Lutz (Migros Industrie)

Dr. Marc Lutz erläuterte, wie die Migros Industrie an einer ganzen Bandbreite neuer Rohstoffe und Technologien arbeitet – von Präzisionsfermentation über zellkulturbasiertes Fleisch bis hin zu High Pressure Processing (HPP) und gepulsten elektrischen Feldern (PEF). Solche Verfahren ermöglichen es, die Haltbarkeit zu erhöhen, Pathogene zu minimieren und gleichzeitig Qualität und Geschmack zu bewahren. Lutz machte allerdings klar, dass die Verbraucherakzeptanz und ein tragfähiges Geschäftsmodell essenziell sind, um diese Innovationen erfolgreich am Markt zu etablieren.

KI: Einsatz im Audit und Food Safety Management

Der nächste Schwerpunkt war die Keynote von Dr. Andreas Daxenberger (TÜV SÜD) mit dem Titel „Was kann Kollege KI (aktuell) im Audit und im Food Safety Management?“. Laut Daxenberger sei die KI zwar hervorragend geeignet, große Datenmengen zu analysieren und Auffälligkeiten zu erkennen, doch könne sie das menschliche Urteil (z. B. bei Vor-Ort-Audits) nicht ersetzen. Soziale Interaktion, Stichprobenprüfung und situationsabhängige Risikobewertung bleibe Aufgabe erfahrener Auditoren – jedoch könnten KI-Tools Dokumentenchecks und Prozessdatenanalysen beschleunigen.

Rechtliche Hemmnisse bei der Vermeidung von Lebensmittelabfällen

Einen wichtigen Impuls lieferte Prof. Dr. Wolfgang Voit (Philipps-Universität Marburg), der Ergebnisse eines Rechtsgutachtens zu „rechtlichen Hemmnissen bei der Vermeidung von Lebensmittelabfällen“ vorstellte. Vor allem bei der Weitergabe von Lebensmitteln nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) und der steuerlichen Behandlung von Lebensmittelspenden gäbe es noch Hürden. Voit schlug vor, dass ein EU-weiter Rechtsrahmen und national erleichterte Verfahren – etwa für karitative „Lebensmittelunternehmen“ – die Weitergabe an Bedürftige vereinfachen könnten.

Roundtable: Lebensmittelspenden und Food Waste

Direkt im Anschluss diskutierten Regina Treutwein (Tafel Deutschland e.V.) und Björn Fromm (Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels e.V.) unter der Moderation von Hanno Bender, wie die Praxis aussehen könnte. Beide machten deutlich, dass klare gesetzliche Rahmenbedingungen und eine Entbürokratisierung der Spendenprozesse viel bewirken können. Einigkeit herrschte darüber, dass die Minimierung von Lebensmittelabfällen einen wesentlichen Beitrag zur Nachhaltigkeit darstellt und gleichzeitig soziale Verantwortung wahrnimmt.

MOSH/MOAH: Impuls und Roundtable

Am frühen Nachmittag rückte das Thema Mineralölkohlenwasserstoffe (MOSH/MOAH) in den Vordergrund. Janine Schäpe (ifp Institut für Produktqualität) zeigte in ihrem Impuls, wie komplex die Analytik dieser Stoffgruppen ist und dass es nach wie vor keine festen EU-Höchstgehalte gibt. In der anschließenden Diskussion mit Dr. Markus Grube, Dr. Sieglinde Stähle (Lebensmittelverband) und weiteren Fachleuten wurde deutlich, dass MOAH insbesondere wegen potenziell krebserregender aromatischer Verbindungen kritischer zu betrachten ist. Einheitliche Grenzwerte sind in Planung, doch die Frage, wie Betriebe bis zur verbindlichen Regulierung mit Orientierungswerten und Rücknahmeempfehlungen umgehen, bleibt.

Produktnachhaltigkeit als neue Wettbewerbsdimension

Markus Linder (ESFC/Inoqo) beleuchtete anschließend in seiner Keynote, wie Produktnachhaltigkeit zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil im Lebensmittelhandel werden könne. Er plädierte dafür, ganzheitliche Impact-Assessments (z. B. CO₂-Fußabdruck, Biodiversität, Sozialstandards) einzuführen und diese Ergebnisse transparent an Kundinnen und Kunden zu kommunizieren. Nur so könne die Branche einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz leisten und gleichzeitig Verbraucher für umweltfreundlichere Produkte gewinnen.

IFS Supply Chain Solutions

Ein weiteres Highlight war die Keynote von Stephan Tromp (IFS Management GmbH), der neue Ansätze für strukturierte Lieferkettenprozesse vorstellte. Mit dem IFS Supply Chain Processes Check sollen Unternehmen künftig ihre Lieferkette noch genauer analysieren und potenzielle Risiken – etwa hinsichtlich ESG, Lebensmittelbetrug oder Prozessmängeln – frühzeitig erkennen. Ziel sei es, die Transparenz und damit die Sicherheit in allen Stufen der Wertschöpfungskette zu erhöhen.

Gemeinsame Schlussbetrachtung

Am Ende des Kongresses fassten Dr. Marcus Girnau (Lebensmittelverband), Stephan Tromp (HDE/IFS) und Moderator Hanno Bender die gewonnenen Erkenntnisse noch einmal zusammen. Deutlich wurde:

  • Digitalisierung und Datenkompetenz sind entscheidend, um komplexe Lieferketten zu überwachen und neue Pflichten (z. B. EUDR, LkSG, CSRD) effizient zu erfüllen.
  • Innovation zeigt sich auf vielen Ebenen: von alternativen Proteinen und neuen Haltbarmachungsverfahren über KI-gestützte Lösungen in Audits bis hin zu Startup-Lösungen für Sugar Replacement oder Bakteriophagen.
  • Nachhaltigkeit steht ebenso im Vordergrund wie klassischer Verbraucherschutz. ESG-Kriterien und Kreislaufwirtschaft rücken für viele Unternehmen in den Fokus – und werden zugleich von Investoren positiv honoriert.
  • Zusammenarbeit bleibt das Gebot der Stunde. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sind gleichermaßen gefragt, um Rechtsrahmen praxistauglich zu gestalten und bestmögliche Standards für die Lebensmittelsicherheit zu setzen.

Der nächste Food Safety Kongress wird im Februar 2026 erneut in Berlin stattfinden. Der rege Austausch und die vielen praxisnahen Impulse in diesem Jahr lassen erkennen, wie intensiv die Branche arbeitet – und dass der Dialog mit allen Stakeholdern weiterhin unverzichtbar bleibt.