Rückblick Ernährungskongress 2024

Vom Einfluss unserer Gene auf unser Ernährungsverhalten bis zum Speiseplan der KI

- Der Ernährungskongress „Speiseplan der Zukunft gesucht“ bot am 8. Oktober einen spannenden Mix rund um die komplexen Aspekte unseres Ernährungsverhalten von den Genen bis zu Empfehlungen der künstlichen Intelligenz und zeigte auf, dass die Proteinquellen der Zukunft sehr vielfältig sein können.
© Sandra Ritschel/Lebensmittelverband Deutschland e. V.
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„Wir als Lebensmittelverband möchten die wichtigen Debatten unserer Zeit mitgestalten“. Mit diesen Worten eröffnete Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands, die Veranstaltung, bei welcher drei Schwerpunktthemen im Mittelpunkt standen. Im ersten Teil ging es um die Frage, welchen Einfluss Gene, aber auch Einsamkeit und kulturelle Aspekte auf unser Ernährungsverhalten haben. Der zweite Block widmete sich den Proteinquellen der Zukunft mit Blick auf herkömmliches Fleisch, zellkulturbasiertes Fleisch und pflanzliche Alternativen. Den Abschluss bildeten dann die Chancen und Risiken der künstlichen Intelligenz im Ernährungs- und Gesundheitssektor.

Unsere Gene sind wie ein Pokerblatt

Zum Auftakt begrüßte Moderatorin Kristina zur Mühlen Giles Yeo, Professor für molekulare Neuroendokrinologie an der Universität Cambridge. In seinem Vortrag diskutierte Yeo die Frage, ob Fettleibigkeit eine bewusste Entscheidung sei. Er erklärte, dass genetische Faktoren eine bedeutende Rolle beim Körpergewicht und Essverhalten spielen. Übergewichtige Menschen würden gegen ihre Biologie kämpfen, so Yeo. Der Genetiker beschrieb, wie Gene unsere Vorlieben für bestimmte Lebensmittel beeinflussen und wie Störungen in genetischen Pfaden, wie dem Melanocortin-System, zu Übergewicht führen können. Trotz dieser genetischen Einflüsse betonte er, dass individuelle Verantwortung wichtig ist, aber dass wir eben auch das biologische Erbe berücksichtigen sollten, um Adipositas besser zu verstehen: „Your genes are like a hand of poker – You can’t do anything about the cards you have, but you can choose how to play them“. Sein ganz praktischer Tipp zum Schluss: „Wenn man weiß, dass man in stressigen Situationen dazu neigt, mehr Snacks zu essen, als gut für einen ist, sollte man darauf achten, gar keine Snacks zu Hause zu haben“.

Einsamkeit als Risikofaktor für Übergewicht

Dirk Scheele, Professor für soziale Neurowissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum, stellte im Anschluss einen weiteren Faktor für die Übergewichtsentwicklung vor – die Einsamkeit. „Einsamkeit ist ein hochsignifikanter Risikofaktor für die mentale und physische Gesundheit,“ konstatierte Scheele. So gebe es Hinweise darauf, dass Einsamkeit auch das Essverhalten beeinflussen kann, indem sie zu ungesünderen Ernährungsgewohnheiten führe, wie zum Beispiel weniger Obst- und Gemüsekonsum. Neurobiologische Untersuchungen zeigen zudem, dass Einsamkeit die Verarbeitung von Hungergefühlen im Gehirn verändert. Erste Interventionsstudien mit Psychotherapie würden vielversprechende Ergebnisse zeigen, jedoch gebe es bisher kein pharmakologisches Heilmittel gegen Einsamkeit, sondern man müsse aus sich selbst heraus aktiv werden, zum Beispiel durch gemeinsame sportliche Aktivitäten.

Veränderungen in den Essgewohnheiten sind tief in sozialen Praktiken verankert

Zum Abschluss des ersten Blocks sprach Jana Rückert-John, Professorin für „Soziologie des Essens“ an der Hochschule Fulda, über den Einfluss von Kommunikation und sozialer Norm auf den Essalltag, insbesondere wie wichtig es sei, Empfehlungen alltagstauglich und realistisch zu gestalten, ohne moralischen Druck auszuüben. Ein interdisziplinärer Ansatz zwischen Natur- und Sozialwissenschaften sei hier besonders wichtig, um nachhaltige Lösungen zu finden, denn die Transformation der Ernährungsweise hin zu einer nachhaltigeren Praxis sei unausweichlich: „Nachhaltige Ernährung ist ein Muss, aber ihre Umsetzung eine komplexe Herausforderung“, meint Rückert-John. Fleischkonsum, insbesondere in sozialen und geschlechtsspezifischen Kontexten, sei beispielsweise ein zentraler Streitpunkt. Die Soziologin betonte zudem, dass man viel mehr die positiven Aspekte der Ernährung, z. B. Genuss, Ausprobieren, Experimentieren und Erinnerungen in den Vordergrund stellen müsste. Es gelte, positive Narrative wie Zugewinn, Chancen und Möglichkeiten zu erzählen anstatt von Verzicht, Verbot oder ‚Ersatz‘ zu sprechen. Politische Lösung sollten zudem nicht aus einem Guss sein, sondern die Verantwortung müsse geteilt werden.

Die Trends der Zukunft am Beispiel von Speiseeis

Food-Journalist Patrick Zbinden beschäftigt sich intensiv mit den Mechanismen und Trends in der Lebensmittelbranche, wobei er im Rahmen des Kongresses das Beispiel von Speiseeis nutzte, um aktuelle Entwicklungen zu veranschaulichen. Er zeigte auf, dass Eis ein besonders gutes Beispiel ist, weil es schnell auf gesellschaftliche und technologische Veränderungen reagiert und Trends in der Ernährung widerspiegelt. Beim Eis seien die Menschen am mutigsten. Er betonte, dass moderne Trends zunehmend von sozialen Medien und Influencerinnen und Influencern geprägt werden, die bestimmte Produkte viral machen können. Gleichzeitig warnte er davor, sich ausschließlich auf diese schnellen Trends zu verlassen. Zbinden sprach zudem über die Bedeutung von Genuss und Emotionen als zentrale Säulen für die Wahrnehmung und Entwicklung von Trends. „Das Thema Emotion ist wirklich wichtig und wird im Bereich Sensorik Einfluss nehmen, auch auf die Produktentwicklung – Sie werden das erleben,“ erklärte Zbinden. Auch Nachhaltigkeit und die zunehmende Bedeutung von pflanzenbasierten und personalisierten Lebensmitteln wurden hervorgehoben, insbesondere durch neue Technologien wie Präzisionsfermentation und Künstliche Intelligenz, die die Lebensmittelproduktion und -entwicklung nachhaltig beeinflussen werden. Das soziale Thema der Inklusion, besonders im Hinblick auf den Zugang zu Lebensmitteln für alle Gesellschaftsschichten, nannte Zbinden ebenfalls als wichtigen Zukunftstrend.

Verbesserte Fütterung und Biogasanlagen zur Reduktion der Emissionen

In den nachfolgenden Vorträgen ging es um die Frage, woher denn die Proteine der Zukunft kommen würden. Frank Mitloehner, Agrar-Professor am Department of Animal Science der University of California war digital zugeschaltet und erläuterte in seinem Vortrag den Zusammenhang zwischen Tierproduktion und Klimawandel, insbesondere die Rolle von Methan, das von Wiederkäuern, wie Kühen, ausgestoßen wird. Er erklärte, dass Methan ein starkes, aber kurzlebiges Treibhausgas sei, das sich im Gegensatz zu CO2 nicht akkumuliert, sondern auch zerstört wird. Zudem stellte er dar, dass die Reduktion von Methan, etwa durch verbesserte Fütterung und Biogasanlagen, signifikant zur Eindämmung der Erderwärmung beitragen könne. So hätte man in Kalifornien durch den Bau von Biogasanlagen bereits den Methananteil der Milchproduktion halbieren können. Mitloehner betonte, dass es weniger sinnvoll ist, den Fleischkonsum drastisch zu reduzieren, sondern eher durch technologische Maßnahmen in der Landwirtschaft die Emissionen zu senken: „Wenn wir lernen, das Methan zu managen, dann trägt die Verringerung des Methans zur Verringerung der Erwärmung bei." Zum Schluss appellierte er an die Gesellschaft, die klassische Landwirtschaft nicht in Misskredit zu bringen, sondern sie als Teil der Lösung des Problems Erderwärmung zu betrachten.

Zellkulturbasiertes Fleisch als Alternative

Mark Post, Professor of Sustainable Industrial Tissue Engineering an der an der Universität Maastricht, hatte noch ganz andere Ideen. Er sieht die Herstellung von kultiviertem Fleisch aus Stammzellen als Maßnahme zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen und erklärte, dass diese Methode, bei der Fleisch im Labor gezüchtet wird, eine umweltfreundliche Alternative zur traditionellen Tierhaltung darstelle. Die Technologie wurde bereits 2013 mit einem berühmten „Labor-Hamburger" präsentiert, ist jedoch noch teuer und schwierig zu skalieren. Post beschrieb die Fortschritte, wie beispielsweise die Herstellung von Muskel- und Fettgewebe, und erläutert die Herausforderungen, wie hohe Kosten und die Akzeptanz durch Konsumentinnen und Konsumenten. Dennoch zeigte er sich zuversichtlich, dass kultiviertes Fleisch eine wichtige Rolle in der Zukunft der Fleischproduktion spielen werde, besonders im Hinblick auf den Umweltschutz. Er verglich die Akzeptanzhürde mit bayerischer Weißwurst: „You have to go over a hurdle, and once you see somebody eat a Weißwurst and they stay alive, the next time it becomes easier, right?"

Pflanzliche Alternativen müssen geschmacklich und funktionell überzeugen

Pflanzlicher wurde es im letzten Beitrag des zweiten Blocks mit Dr. Alexander Stephan. Dieser beschrieb in seinem Vortrag die Herausforderung, pflanzliche Alternativen zu Fleisch so zu entwickeln, dass sie in Geschmack und Funktionalität dem tierischen Original entsprechen: „Wir müssen die Alternativen so gut machen, wie Fleisch ist. Dann wird es spannend. Dann öffnet sich eine ganz neue Welt.“ Er beschrieb die Bedeutung von neuen Proteinquellen wie Algen, Pilzen und Insekten sowie von Technologien wie der Fermentation und kultiviertem Fleisch. Auch die Kombination von pflanzlichen und tierischen Proteinen, sogenannte Hybridprodukte, sah er als vielversprechend an. Zudem sprach Stephan über die biologische Wertigkeit von Proteinen und die Notwendigkeit, Lebensmittel nachhaltiger und effizienter zu produzieren, indem alle Teile der Pflanze oder des Tieres genutzt werden.

Künstliche Intelligenz ist in vollem Gange

Publizist und Berater Hendrik Haase zeigte im dritten Block eindrucksvoll wie Technologien wie Künstliche Intelligenz und Algorithmen bereits in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion eingesetzt werden. Beispiele wie autonome Traktoren, Agrardrohnen und KI-gestützte Lieferdienste verdeutlichen den Einfluss der Technologie. „KI ist nicht mehr Zukunftsmusik, sie ist in vollem Gange,“ konstatierte Haase. Er warnte deshalb davor, die Kontrolle über die Zukunft abzugeben, und plädierte für einen bewussten Umgang mit KI in der Lebensmittelbranche. Wer die Technologie nutze, könne Wettbewerbsvorteile erzielen und die Zukunft der Branche mitgestalten. Die digitale Transformation sei laut Haase eine Chance für mehr Nachhaltigkeit und Effizienz. Als Beispiel sprach er über Kameras, die Tiere beobachten oder die schon vorab erkennen, wann ein Tier krank werden könnte, sodass man rechtzeitig Maßnahmen zur Gesunderhaltung ergreifen könne. „Daten seien der Rohstoff der Zukunft“, so Haase.

Der Ernährungsplan von ChatGPT ist eine Frage des richtigen Promptens

Auch Dr. Regina Vetters, Partnerin in der Strategieberatung EY Parthenon, beschäftigte sich als letzte Rednerin des Tages mit dem Thema KI, speziell den Herausforderungen bei der Implementierung von KI in Unternehmen und insbesondere in der Gesundheits- und Ernährungsbranche. Sie machte gemäß ihres Vortragstitel den Test und fragte ChatGPT nach einem Abnehmplan. Sie lobte die Vielseitigkeit, hob aber auch die Grenzen der generativen KI hervor, wie z. B. ungenaue Kalorienangaben und die fehlende Möglichkeit zur Motivation oder Interaktion. Ihr Fazit des Tests: Für einen sinnvollen Ernährungsplan braucht es fortgeschrittene Prompts, also Anweisungen an die KI, damit sie das gewünschte Ergebnis liefert. Man muss ziemlich viele Informationen liefern und wissen, was man als Ergebnis will und welche Eckpunkte zu beachten sind. Zudem könne die KI zwar personalisierte Pläne erstellen, aber es fehle an menschlicher Unterstützung. Erfolgreiche Anwendungen erfordern die Kombination von KI und menschlicher Empathie: „Es braucht das Zusammenspiel von künstlicher Intelligenz mit der menschlichen Intelligenz und Empathie“, ist Vetters überzeugt. Zum Abschluss zeigte Vetters noch ein Positiv-Beispiel für KI im Gesundheitswesen, das NutriScan Programm im Mount Sinai Hospital in New York. Dort wird KI genutzt, um die Versorgungsprozesse zu optimieren und mehr Zeit für den Menschen zu haben. Die KI identifiziert Patientinnen und Patienten mit Ernährungsmangel auf Basis aller im System vorhandenen Informationen, erstellt personalisierte Ernährungspläne auf Basis von Ernährungsgewohnheiten, Gewichtskurven, Laborergebnissen etc. und lernt aus vorherigen Ernährungsplänen von Patientinnen und Patienten mit ähnlichen Symptomen. Im Ergebnis hat das Programm die Erkennungsquote von Fehlernährten erhöht und das Personal entlastet.

Fotos: ©Sandra Ritschel/Lebensmittelverband Deutschland