Schlagabtausch über Meinungsbildung und Deutungshoheit
Über die Entstehung von Meinungen und den Kampf um Deutungshoheit in den Medien haben Interessenvertreter aus Wirtschaft, von Verbänden und Nichtregierungsorganisationen, Journalisten und weitere Medienexperten am 8. September 2015 beim 2. Mediendialog Lebensmittel des BLL diskutiert.
Beim Schlagabtausch der hochkarätigen Experten wurde Tacheles gesprochen, Kritik geübt und Lösungsansätze mit ernstem und amüsantem Ton erörtert.
„Die Zuspitzung und Emotionalisierung eines Themas steht über der faktenbasierten Berichterstattung“ – BLL-Präsident Nießner
BLL-Präsident Stephan Nießner hielt die Eröffnungsrede, in welcher er die Erfolge des ersten BLL-Mediendialogs Lebensmittel 2014 darlegte. So gäbe es viele kleine Schritte, die insgesamt einen positiven Trend darstellten. Jedoch gebe es auch Formate, „da wissen wir vorher schon, dass unsere Botschaften nicht gehört werden sollen.“
Nießner zog einen treffenden Vergleich zwischen den Standards der Lebensmittelbranche und denen des Journalismus: „So wie die Lebensmittelsicherheit über allem steht, sollte auch die Einhaltung journalistischer Standards über allem stehen.“
Gibt es guten und schlechten Lobbyismus?
Die Teilnehmer des ersten Podiums waren BLL-Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff, Michael Wedell (Leiter Politik und Außenbeziehungen METRO GROUP), Thomas Wimmer (Geschäftsführer Hill+Knowlton Strategies), Martin Hofstetter (Political Advisor Greenpeace) und Journalisten-Urgestein Ernst Elitz.
Sie diskutierten die Frage, warum Interessensvertretung und damit die Botschaften der Wirtschaft negativ behaftet seien, während man NGOs stets gute Absichten unterstelle. Schnell war man sich einig, dass jede Interessensvertretung ihre Berechtigung habe. Bei der Bewertung könne man nur zwischen erfolgreich und weniger erfolgreich unterscheiden und generell sollte man durchaus voneinander lernen.
Der Erfolg hängt laut Minhoff vor allem von der Schnelligkeit ab: „In Zeiten einer Echtzeitkommunikation haben wir auch eine Echtzeitpolitik. Da muss man jederzeit sprechfähig sein, dieser Herausforderung müssen wir uns stellen.“ Das hat auch Greenpeace früh erkannt. „Nur Schlauchboote helfen nicht, man muss frühzeitig mit Sachargumenten überzeugen“, meinte Martin Hofstetter. Für den NGO-Vertreter zählt zum Erfolg zudem Überzeugung: „Wir sind die Guten, weil wir Dinge aus Überzeugung voranbringen.“
Elitz hat die Erfolgsformel des Lobbyismus anders heruntergebrochen: „Die Digitalisierung ist ein Segen für spezifische und offensive Interessenvertretung, denn ‚guter‘ Lobbyismus hat drei Silben – Transparenz.“ „Die Lebensmittelbranche arbeitet transparent, aber dies erfordert auch einen fairen Umgang“, so Minhoff. „Die Fragen, die der Wirtschaft gestellt werden, sollten auch NGOs gestellt werden, also zum Beispiel nach Finanzierung, möglichen Konflikten und den Strippenziehern im Hintergrund.“ Wedell ergänzte: „Beim Lobbyismus müssen sich alle an Regeln halten, sonst stellt man sich selbst ins Abseits“.
Journalistischer Ethos zwischen Infomation und Emotion
Die zweite Runde des Mediendialogs des Spitzenverbands der deutschen Lebensmittelwirtschaft läutete Christoph Schwennicke, Herausgeber der Politik-Magazins Cicero, mit der Frage ein, ob im Journalismus das rechte Maß bei der Verbreitung von Nachrichten noch gewahrt sei. „Medien stehen unter essenziellen ökonomischen Druck. Journalismus lässt keine Zeit mehr zum Nachdenken. Es geht zuweilen zu wie an einer
Schießbude, jeder darf mal draufhalten.“ Es drohe zudem der Verlust des Kompetenzprinzips.
Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands Michael Konken musste zugeben: „Der Journalismus hat sich geändert, die Auflagenhöhen gehen immer weiter runter, die Zeit zum Recherchieren fehlt und das schlägt sich auf die Qualität nieder.“ Medienanwalt Professor Dr. Christian Schertz konkretisierte: „Die Menschen hinter den Schlagzeilen haben sich nicht geändert, sondern ihre Rahmenbedingungen. Der Druck ist enorm groß, wer die Schlagzeile bringt, bekommt die Klickzahlen.“ Die Hauptgefahr sieht der renommierte Experte in der Tatsache, dass Boulevardmedien Auflage mit „Volkszorn“ machen würden und diese „Boulevardisierung sich in den tradierten Medien ausbreitet“.
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Dr. Hans-Peter Friedrich brach indes eine Lanze für die Leser/Zuschauer: „Die Bevölkerung entwickelt ein Gespür für das, was richtig ist und was nicht. Zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung gibt es einen Unterschied von 180 Grad.“ Heftig debattiert wurde über die Frage, was die Bevölkerung tatsächlich will. „Informationen“, hieß es bei Dr. Friedrich, „auch mal positive Stories“ meinte Professor Schertz, wohingegen die Journalisten der Runde „keinen Jubeljournalismus, sondern kritische Hinterfragung“ als ihre Aufgabe ansahen.
Zum Thema Wahrung von Persönlichkeitsrechten erklärte Professor Schertz: „Wenn ein Vorwurf erhoben wird, sollten Medien nicht sofort mit Wucht über Menschen herfallen. Ein Verdacht muss als Verdacht formuliert werden.“ Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, konnte da aus Erfahrung sprechen und vertrat die Meinung, dass man als Interessenvertreter aber auch Dinge aushalten müsse: „Wir sind Diener einer Sache und Medienschelte halten wir aus, wenn die Sache stimmt und die Mitglieder hinter uns stehen.“
Dr. Friedrich übte in diesem Zusammenhang Kritik an seinem Berufszweig und stellte fest, dass diese konsequente Auffassung von Interessenvertretung in der Politik häufig nicht mehr gewährleistet sei. Zum Schluss der Podiumsrunde forderte Schertz von den Medien eine ausgewogene Berichterstattung „in der beide Seiten gleich stark zu Wort kommen“. Schwennicke mahnte seine Berufskollegen, in der Krise nicht den Versuchungen zu erlegen, Informationen ungefiltert zu übernehmen. „Wir dürfen unsere Gatekeeper-Funktion nicht verlieren.“
Bloggen kein Journalismus
Dem stimmten die Analysten der Veranstaltung, die Journalisten Jakob Augstein und Nikolaus Blome, in ihrer retrospektiven Betrachtung der jeweiligen Diskussionsrunden zu: „Bloggen ist kein Journalismus“ erklärte Blome und hob positiv hervor, dass der „Parteibuchjournalismus“ glücklicherweise heute nicht mehr gegeben sei und sich deshalb die Qualität des Journalismus seiner Meinung nach in den letzten 20 Jahren verbessert habe.
„Unsere Aufgabe ist es, in der digitalen Revolution unseren Platz zu finden.“ BLL-Präsident Nießner
Über die digitalen Medien, sozialen Netzwerke und deren Chancen und Risiken wurde im dritten Panel mit Medienwissenschaftler Professor Dr. Bernhard Pörksen, Merlin Koene (Communications Director Unilever), Axel Zawierucha (Geschäftsführer Internetwarriors) und Martin Goldmann (Mitinhaber Tippscout.de) diskutiert.
Pörksen meinte, dass heute jeder zum Sender geworden sei. Deshalb müsse sich laut dem Wissenschaftler in der digitalen Gesellschaft eine journalistische Haltung entwickeln: „Was ist glaubwürdige, relevante, veröffentlichungswürdige Information?“ Weiterhin dürfe man bei negativen Schlagzeilen nicht versuchen, diese zu unterdrücken, sondern man solle sie „übermalen“ durch Produzieren von positivem Content.
Einigkeit bestand in der Auffassung, dass die digitalen Medien als Chance wahrgenommen werden sollten, um in direkten Kontakt mit anderen zu treten. „So nah wie jetzt waren wir noch nie am Konsumenten“, erläuterte Koene.
Über den BLL-Mediendialog Lebensmittel
Mit der Veranstaltungsreihe "Mediendialog Lebensmittel" möchte der BLL als Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft Medien, Wirtschaft und Politik zusammenbringen, Verständnis fördern und Vorurteile abbauen. Ein Dialog auf Augenhöhe soll die Lücke der Sprachlosigkeit überwinden. Der erste Mediendialog fand am 24. September 2014 statt.