Position/Stellungnahme

MOSH/MOAH - Mineralölübergänge auf Lebensmittel

- Stellungnahme des BLL bezüglich des Übergangs von Mineralöl aus Verpackungsmaterialien auf Lebensmittel.

Aktuelle Informationen zum Sachstand

Seit Anfang 2010 wird das Thema des potentiellen Übergangs von Kohlenwasserstoff-Verbindungen, die von Mineralölen herrühren, breit diskutiert. Anlass dazu gaben Hinweise des Kantonalen Labors Zürich, wo mit Hilfe einer dort neu entwickelten, modernsten Analysenmethode die Problematik der Kontamination von verpackten Lebensmitteln mit sogenannten MOSH (Mineral Oil Saturated Hydrocarbons) sowie in geringerem Umfang mit MOAH (Mineral Oil Aromatic Hydrocarbons) identifiziert wurde.

Auffällig in diesen Untersuchungen waren recyclingpapierverpackte, trockene und langlebige Lebensmittel, z. B. Reis oder Teigwaren. Als Kontaminationsquellen wurden Verpackungsmaterialien identifiziert, die recyclingfaserhaltig und/oder bedruckt sind, wie bei den sehr verbreiteten Faltschachteln. Ferner kann aus dem Recycling-Wellpappe-Material der eingesetzten Lager- und Transportkartons ein Übergang von MOSH/MOAH auf Lebensmittel stattfinden.

Konsens besteht bis heute darüber, dass als Hauptursache und maßgebliche Eintragsquelle von Mineralölfraktionen in der Lebensmittelkette die Verwendung mineralölhaltiger Zeitungsdruckfarben zu sehen ist. Durch die Verwertung bedruckter Zeitungspapiere (Altpapier) in der Recycling-Kette und deren Wiederaufbereitung zur Herstellung recyclingfaserbasierter Verpackungsmaterialien entsteht ein ursächlicher Zusammenhang zur Lebensmittelkontamination. Eine aktive Bearbeitung dieser eigentlichen Ursachen durch Substitution der Zeitungsdruckfarben ist bis dato nicht erfolgt.

Hingegen hat sich die deutsche Lebensmittel- und Verpackungskette intensiv der Problematik in Verantwortung für die Sicherheit der Lebensmittel angenommen. In den verschiedenen involvierten Bereichen wird seit mehreren Jahren interdisziplinär an Lösungskonzepten gearbeitet und es werden konrete Maßnahmen zur Risikominimierung realisiert. Dies geschieht in engem Kontakt mit den einschlägigen wissenschaftlichen Institutionen und den Überwachungsbehörden sowie gemeinsam mit der unmittelbar vorgelagerten Lieferkette von papierbasierten Verpackungsmaterialien und Druckfarben.

Eine im Jahr 2010 vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) veranlasste Studie (Entscheidungshilfe-Projekt)(1) untermauert die Tatsache, dass es sich um eine in der Praxis ausgesprochen komplexe Problematik handelt. Potentiell kann aus Recyclingmaterial ein von vielen Einflussfaktoren abhängiger Übergang von ganz unterschiedlich zusammengesetzten Stoffgemischen aus kurz-, mittel- bis langkettigen und akkumulierten aromatischen Kohlenwasserstoffen (MOSH/MOAH) stattfinden. Diese stammen vornehmlich aus Mineralöl, sind jedoch nicht als toxikologisch bewertbare Einzelsubstanzen identifizierbar sind.

Zwischenzeitlich ist durch ein Forschungsprojekt der Wirtschaft bekannt, dass neben den identifizierten Haupteintragspfaden von MOSH/MOAH aus Papierverpackungsmaterial auch Möglichkeiten der Kontamination in den Gewinnungs- und Verarbeitungsprozessen gibt, z. B. durch Einsatz von Schmierstoffen auf Ebene der Primärproduktion.

Als Voraussetzung für ein umfassendes Monitoring der Kontaminationssituation und gezielte unternehmensbezogene Maßnahmen gilt eine ausgereifte, differenzierende Nachweismethode, die auch für Routine-Untersuchungen geeignet ist. Bislang fehlt die abschließende Validierung und weitere Standardisierung der neuen Analysenmethoden, insbesondere für die reproduzierbare Anwendung auf verschiedene Matrices.

Gesundheitliche Bewertung
Nach bestehender Auffassung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) unter Bezugnahme auf Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sind Mineralöl-Gehalte in Lebensmitteln unerwünscht und soweit technisch machbar zu minimieren. Sie stellen jedoch unter Zugrundelegung üblicher Verzehrsgewohnheiten kein akutes Lebensmittelsicherheitsproblem dar. Eine Aufnahme von MOSH/MOAH, die bereits aufgrund der bestehenden „Hintergrundbelastung“ unvermeidbar ist, kann sich durch Lebensmittelverzehr geringfügig erhöhen. Da diese komplexen Kohlenwasserstoffgemische jedoch nicht ausreichend toxikologisch bewertet sind und auch ein mögliches krebserzeugendes Potential der MOAH-Fraktion nicht ausgeschlossen werden kann, gelten diese als unerwünschte Substanzen, deren Übergang auf Lebensmittel vermieden werden soll.(2)

Erfolgreiche Maßnahmen der Lebensmittelverpacker
Seit Bekanntwerden der Problematik wurden aufgrund der intensiven Befassung und Zusammenarbeit der verpackenden Lebensmittelwirtschaft mit ihren Zulieferern Änderungen vorgenommen, die zu einer deutlichen Verbesserung führten.

Eine neutrale Marktschau und Bilanz der Verpackungsänderungen wurde von der TU Dresden vorgenommen; der im November 2013 veröffentlichte Überblick zeigt, dass sich im Vergleich zu 2010 die Verpackungszusammensetzungen, insbesondere beim verwendeten Kartonmaterial, deutlich geändert haben.(3)

Untersuchungen der Lebensmittelüberwachung (LAVES Mitteilung 2014/2015)(4), verschiedene Studien von Markttestern (u. a. Stiftung Warentest, Ökotest) und letztlich eine Veröffentlichung von Foodwatch im Oktober 2015 belegen zusammenfassend, dass Fortschritte bei den Verpackungskonzepten und den messbaren Mineralöl-Belastungen festzustellen sind. Insbesondere bei Produkten wie trockengelagerte, langlebige Lebensmittel (Cerealien, Reis, Teigwaren), die im EH-Projekt Anfang April 2010 beprobt und kritisch beurteilt wurden, sind vergleichsweise geringe MOSH-Gehalte vorhanden und MAOH-Gehalte nicht mehr nachweisbar.

Nahezu alle jüngst getesteten Produkte vom deutschen Markt halten damit Werte in Anlehnung an den Entwurf einer „Mineralöl-Verrordnung“ (Stand 24. Juli 2014) ein. Die darin vorgeschlagenen, sehr restriktiven Werte für MOSH/MOAH-Migration sind als Toleranz- oder Richtwerte zu verstehen, die nach dem sogenannten ALARA-Prinzip am „technisch Machbaren“ orientiert sind bzw. an der analytischen Nachweisgrenze der Stoffe. Laut diesem Verordnungsentwurf sollen nicht mehr als 2 mg/kg MOSH und unter 0,5 mg/kg MOAH aus Recyclingpapier-Verpackungen auf Lebensmittel übergehen.

Diese positiven Entwicklungen sind Ergebnis eines von der Lieferkette auf freiwilligem Wege eingeleiteten Maßnahmenkonzepts und Ausweis der Anstrengungen der gesamten Lieferkette im Wege der Selbstregulierung zur Verbesserung der Verpackungskonzepte mit dem Ziel der Vermeidung unerwünschter Stoffübergänge.

Hierzu gehören die eingeleiteten Initiativen der Papierwirtschaft (siehe: Initiative Sauberes Recycling) und der Lebensmittelwirtschaft (siehe: BDSI-Toolbox Konzept zur Minimierung MOSH/MOAH) ebenso wie die Entwicklung neuer und wirtschaftlicher Barriere-Materialien, die im erforderlichen Umfang und entsprechend dem Erfordernis der Produkte eingesetzt werden:

  • Recyclingfaserhaltige Verpackungsmaterialien wurden vielfach durch Frischfaser-Materialien substituiert, insbesondere wenn ein direkter Kontakt mit langlebigen, raumtemperaturgelagerten Produkten zweckbestimmt ist (z. B. Faltschachtel-verpackungen).
  • Für eine Vielzahl von Produkten wurde eine Verpackungsänderung unter Auswahl einer verbesserten Barriereschicht vorgenommen. Dies geschieht z. B. durch Verwendung von Innenbeuteln in Faltschachten oder durch Einsatz von innovativen beschichteten, migrationshemmenden Papier-Materialen oder Mehrschichtmaterialien.
  • Auch bei Um- und Transport-Kartonagen sind bedeutende Innovationen erfolgt. Marktreif verfügbar sind heute barriere- und migrationsoptimierte Kartonagen, die weiterhin unter Verwendung von Recyclingfasern hergestellt werden können, jedoch ein höheres Maß an Sicherheit im Hinblick auf den Übergang unerwünschter Stoffe aus dem Recyclinganteil gewährleisten. Sie können spezifisch für einen Einsatzzweck und die erforderliche Barrierewirkung angepasst werden.
  • Gemäß den expliziten Empfehlungen der Verbände werden für Lebensmittelverpackungen keine mineralölhaltigen und meist migrationsarme Druckfarben eingesetzt (auch für die Zeitungsbedruckung stehen heute alternative, pflanzenölbasierte Druckfarben zur Verfügung, die jedoch nicht eingesetzt werden).

Verpackungsänderungen können grundsätzlich zweckmäßig sein, sind allerdings je nach Lebensmittel und Angebotsform zu prüfen und nicht für alle Produkte die geeignete Lösung. Grenzen sind sowohl durch die Lebensmitteleigenschaften gesetzt als auch durch die Verfügbarkeit alternativer Materialien und letztlich durch die entstehenden Kosten. Auch stellen sich durch die vermehrte Verwendung von alternativen Packstoffen, wie Kunststoffen, Glas oder Aluminium, und kombinierten Barrierematerialien neue Fragen der Nachhaltigkeit und Wiederverwertbarkeit von Lebensmittelverpackungen.

Zusätzlich zu diesen praktischen Maßnahmen im Bereich der Verpackung findet eine Sensibilisierung in der Lebensmittelverarbeitung im Hinblick auf anderweitige Eintragsquellen von Mineralölen statt. Potentielle Einträge entlang der Verarbeitungs- und Handelswege durch Maschinenkontakt oder Vorverpackungen sowie durch Verwendung technischer Hilfsstoffe sind unter Anwendung der „Guten Herstellungspraxis“ zu minimieren.

Kein Regulierungserfordernis
Seitens der Bundesregierung wurde bereits im Mai 2011 der Vorschlag gemacht, die Problematik im Regulierungswege zu lösen. Ungeachtet der massiven Kritik der Wirtschaft und der feststellbaren Entwicklungen wurde dieser Weg weiter verfolgt.

Ein konzeptionell mehrfach geänderter Entwurf einer sogenannten nationalen „Mineralöl-Verordnung“ wurde zuletzt im Juli 2014 zur Diskussion gestellt. Rein auf den deutschen Markt bezogen will der Gesetzgeber sehr restriktive Anforderungen an die Beschaffenheit von Lebensmittel-Packstoffen auf Recyclingpapierbasis stellen. Als eine mögliche Konsequenz sehen sich Lebensmittelverpacker gezwungen, in unverhältnismäßigem Umfang nur noch alternative Verpackungsmaterialien (Barrierematerial, Kunststoff, Glas, Aluminium) einzusetzen mit den entsprechenden ökonomischen und ökologischen Folgen. Das Instrument der Regulierung steht insofern in keinem Verhältnis zum wissenschaftlich begründeten, objektiven Handlungsbedarf zu den bereits erreichten Verbesserungen und ist derzeit keine angemessene Maßnahme und Migrationsbegrenzung zur weiteren Problembehandlung.

Die gesamte Wertschöpfungskette ist in hohem Maß besorgt über die einseitige Vorgehensweise der Bundesregierung. Der Lebensmittelverkehr ist heute mehr denn je europäisch organisiert, d. h. es werden von nationalen Standorten Märkte in der gesamten Gemeinschaft versorgt, weshalb ein europaweit einheitliches Regelwerk zwingend erforderlich ist. Nationale Vorschriften stehen grundsätzlich im Widerspruch zu den politisch vereinbarten Grundsätzen eines einheitlichen Verbraucherschutzniveaus und zur Praxis eines Binnenmarktes. Sonderlösungen für Produkte in Deutschland führen zu Wettbewerbsverzerrungen, deren Ausmaß und Kostenfolgen aus heutiger Perspektive dramatisch ausfallen würden.

Ausblick
Die Lebensmittelwirtschaft und ihre Zuliefererkette haben erkennbar gemeinsam viel geleistet und Verantwortung gezeigt. Weitere Anstrengungen zur Erforschung der komplexen Situation, die Entwicklung verträglicher Verpackungsalternativen und vor allem die Entlastung der Altpapierkreisläufe von unerwünschten Stoffen sind notwendig. Die beteiligten Branchen stellen sich aktiv den Herausforderungen durch eigene Forschungsinitiativen, Untersuchungsprogrammen und mit selbstverpflichtenden Konzepten. Im Zusammenwirken ergibt sich ein zielführendes und umfassendes Minimierungskonzept, das durch Beiträge der unterschiedlichen involvierten Kreise – Recyclingwirtschaft, Druckfarbenhersteller, Papierwirtschaft, Verpackungsmittelhersteller und verpackende Lebensmittelwirtschaft – getragen wird.

Wenn es jedoch weiterhin nicht gelingt, in diese Konzepte auch die für Mineralöleinträge maßgeblich verantwortliche Verleger- und Zeitungswirtschaft einzubeziehen, kann die Belastung des Recyclingsystems nicht auf ein Niveau gesenkt werden, das einen risikoarmen Einsatz von Recyclingprodukten ermöglicht. Ca. 70.000 t Mineralöl, die durch Pflanzenöle ersetzbar wären, werden in Deutschland jährlich über bedruckte Zeitungen freigesetzt, in den Altpapierkreislauf eingebracht und in die Verpackungswelt entlassen. Bislang wird die Aufgabe, Lebensmittel vor den Mineralölfraktionen MOSH/MOAH als unerwünschte Kontaminanten zu schützen, mit hohem Aufwand und durch einseitige Belastung der Lebensmittelwirtschaft geleistet. Gefordert ist die Verantwortungsübernahme auch der Zeitungswirtschaft für das von der Gesellschaft erwünschte, nachhaltige Recyclingsystem.

Weiterführende Informationen: Stellungnahme zur Foodwatch-Veröffentlichung zu Mineralöl-Rückständen

Referenzen
(1) EH-Projekt „Ausmaß der Migration unerwünschter Stoffe aus Verpackungsmaterialien aus Altpapier in Lebensmittel“ (veröffentlicht durch BLE 2012).
(2) Fragen und Antworten zu Mineralölbestandteilen in Schokolade aus Adventskalendern und anderen Lebensmitteln (Stand: 26.11. 2015 auf Basis der BfR-Stellungnahmen vom März 2010 und November 2012).
(3) L. Richter, T. Simat „Sind Recyclingfaser für den Lebensmittelkontakt geeignet?“ Rundschau für Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung 11/2013.
(4) LAVES-Bericht: Mineralöl in verpackten Lebensmitteln, 2015.