Position/Stellungnahme

Stellungnahme zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2018 zu § 40 Abs. 1a LFGB im Verfahren 1 BvF 1/13

- Der BLL nimmt nachfolgend Stellung zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2018 zu § 40 Abs. 1a LFGB.

Vorgeschichte

§ 40 Abs. 1a LFGB wurde im Jahr 2012 in das seit 2005 geltende Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) eingefügt. Der Regelungsgehalt der Vorschrift beinhaltet gleichermaßen eine Ermächtigung wie eine Verpflichtung der Behörden, die Öffentlichkeit von Amts wegen über (potentielle) Verstöße von Lebens- und Futtermittelunternehmen gegen Grenzwertüberschreitungen und sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich des LFGB, die dem Schutz vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, zu informieren. Obwohl die (Transparenz-) Norm des § 40 Abs. 1a LFGB eine (akute) Gesundheitsgefährdung nicht voraussetzt, wird den Behör-den, im Unterschied zur älteren Gefahrenabwehrnorm des § 40 Abs. 1 LFGB, kein Ermessensspielraum zugestanden und eine Namensnennung schon auf der Basis eines bloßen Verdachts der in § 40 Abs. 1a LFGB näher spezifizierten Rechtsverstöße während eines noch laufenden Verfahrens gefordert. Darüber hinaus wurde auf eine Befristung der Namensveröffentlichung verzichtet. Nicht zuletzt aufgrund dieser Friktionen hatten einige Oberverwaltungsgerichte verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Norm angemeldet und die Niedersächsische Landesregierung schließlich im Jahr 2013 den nunmehr entschiedenen Normenkontrollantrag gestellt; seitdem wurde der Vollzug der Regelung in den Ländern ausgesetzt.

Der BLL hatte bereits das Gesetzgebungsverfahren, mit dem § 40 Abs. 1a LFGB in das LFGB eingeführt wurde, intensiv begleitet und schon damals gewichtige Bedenken gegen die Norm geltend gemacht, die von Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend geteilt wurden. Auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts hatte der BLL eine ausführliche Stellungnahme unter Aufarbeitung und Einbeziehung der existierenden Literatur und Recht-sprechung in das abstrakte Normenkontrollverfahren eingebracht und seine Rechtsauffassung dargelegt (siehe: BLL-Stellungnahme zu § 40 Abs. 1a LFGB vom 5. August 2014).

Seine verfassungsrechtlichen Bedenken stützte der BLL insbesondere auf das Übermaßverbot bzw. den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Unschuldsvermutung. Dabei wies der BLL vor allem auf die fehlende zeitliche Befristung einer Veröffentlichung, die Unbestimmtheit und Unverhältnismäßigkeit der geregelten Fallvarianten und die ungerechtfertigte Schlechterstellung der Unternehmen im Rahmen der Transparenznorm des § 40 Abs. 1a LFGB verglichen mit der Gefahrenabwehrnorm des § 40 Abs. 1 LFGB hin. Im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts fällt auf, dass dieser eine umfassende inhaltliche Auseinandersetzung mit den vorstehend aufgeführten Punkten vermissen lässt; insbesondere die Frage der Unschuldsvermutung wird überhaupt nicht angesprochen. Auch die existierende Literatur wird nur insoweit zitiert, als sie die Ausführungen des Gerichts stützt, eine umfassende Auseinandersetzung mit den zahlreichen kritischen Literaturstellen findet dagegen nicht statt. Es dürfte daher zu erwarten sein, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Literatur eine durchaus kritische Würdigung erfahren wird.

Der aktuelle Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Mit Beschluss vom 21. März 2018 hat das Bundesverfassungsgericht zu Namensveröffentlichungen bei lebensmittelrechtlichen Verstößen Stellung genommen und über die Verfassungskonformität des betroffenen § 40 Abs. 1a LFGB befunden.

In besagtem Beschluss sieht das Bundesverfassungsgericht Namensveröffentlichungen nach § 40 Abs. 1a LFGB zwar grundsätzlich als verfassungsgemäß an, moniert aber das Fehlen einer zeitlichen Begrenzung als einen Verstoß gegen die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber ist daher nun aufgefordert, bis Ende April 2019 eine angemessene zeitliche Grenze für die Löschungsfrequenz, mithin verlässliche kodifizierte Löschungsfristen, zu schaffen.

Das Bundesverfassungsgericht definiert zudem klare Vorgaben an den Vollzug der Norm mitsamt der ausdrücklichen Aufforderung zu verfassungskonformen Anwendung des § 40 Abs. 1 LFGB. Die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit der Norm ist danach stets nur unter der Prämisse einer verfassungskonformen Anwendung gewährleistet! Darin liegt eine wichtige Botschaft an die Vollzugsbehörden, die in den Medienberichten zu der Entscheidung meist nur unzureichend widergegeben wurde.

Im Falle einer nicht ausreichenden Beachtung der durch den Beschluss statuierten Anforderungen an einen verfassungskonformen Vollzug durch die Behörden dürfte es angesichts der massiven wirtschaftlichen Folgen einer Namensveröffentlichung für die betroffenen Unternehmen, die aufgrund der Reputationsverluste bekanntlich bis zur Existenzgefährdung oder sogar zur Existenzvernichtung gehen können, zu einer (erneuten) Klagewelle kommen. Schon vor diesem Hintergrund ergibt es aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft Sinn, Wortlaut und Systematik des § 40 LFGB nochmals grundlegend zu überarbeiten und sich nicht auf das bloße „Nacharbeiten“ durch die Einfügung einer Löschungsfrist als „kleine Lösung“ zu beschränken.

Wesentliche Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Anwendung des § 40 Abs. 1a LFGB im Einzelnen:

Zu den vom Vollzug im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung stets zu berück-sichtigenden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zählen vor allem folgende Kernpunkte:

Intensität des Grundrechtseingriffs/Reputationsverlust beim Vollzug berücksichtigen (Rn. 34)
Das Bundesverfassungsgericht erkennt ausdrücklich an, dass die mit der Information der Öffentlichkeit einhergehende Beeinträchtigung der betroffenen Unternehmen von großem Gewicht sein kann. So könne eine Namensveröffentlichung zu „einem erheblichen Verlust des Ansehens des Unternehmens und zu Umsatzeinbrüchen führen, was im Einzelfall bis hin zur Existenzvernichtung reichen kann“.

Die Intensität des Grundrechtseingriffs durch die gravierenden Folgewirkungen für die Betroffenen gilt es grundsätzlich in Rahmen des Vollzuges bei der Art und Ausgestaltung der Namensveröffentlichung, insbesondere bei bloßen Verdachtsfällen im Rahmen laufender Verfahren zu berücksichtigen. Dabei gilt es zu beachten, dass im Unterschied zu den Fällen bei bestehender Gesundheitsgefahr für die Verbraucher, in denen ein schnelles und frühzeitiges Handeln zur Gefahrenabwehr zwingend geboten ist, in den Fällen des § 40 Abs. 1a LFGB als einer reinen Transparenzvorschrift dieser Handlungsdruck nicht besteht. In diesen Fällen kommt den Grundrechten der betroffenen Unternehmen vielmehr aufgrund der drohenden Schadensfolgen höhere Bedeutung zu. Die Besonderheiten des Internets führen ferner dazu, dass die Veröffentlichung solcher Informationen de facto irreversibel und aufgrund der permanenten und allzugänglichen Verfügbarkeit und unvorhersehbaren Verbreitungsmöglichkeiten nicht löschbar ist.

Konkrete Aufarbeitung der Information durch die Behörde erforderlich (Rn. 35 ff.)
Das Ausmaß des potentiellen Ansehensverlusts hängt im Wesentlichen auch von der konkreten Darstellung der Namensveröffentlichung durch die Behörde ab. Behörden müssen daher nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ihre Informationen einzelfall- und adressatengerecht sorgfältig aufarbeiten. So könne es beispielsweise eines expliziten Hinweises darauf bedürfen, dass die Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB nicht auf einer behördlichen Risikoabschätzung mit Blick auf weitere künftige Verstöße beruhe. Gleichfalls könne ein Klarstellungsbedarf der Behörde dahingehend bestehen, dass die Information keine amtliche Warnung beinhalte. Schließlich können Wettbewerbsnachteile für betroffene Unternehmen dadurch begrenzt werden, dass bei der Darstellung der Information deutlich erkennbar wird, dass es sich nur um das Ergebnis stichprobenweise erfolgter Kontrollen handelt. Die Behörden müssen daher die Formulierung der Information individuell prüfen und so ausgestalten, dass das Ausmaß des Ansehensverlustes für das betroffene Unternehmen in angemessenen Grenzen gehalten wird.

Richtigkeit der Information ist von Behörden zu sichern (Rn. 39 ff.)
Bei der Rechtsanwendung sind die Behörden nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts von Verfassungs wegen gehalten, Vorkehrungen treffen, um die Richtigkeit der Information zu sichern und dadurch Fehlvorstellungen der Verbraucher zu vermeiden:

  • Die zuständigen Behörden müssen die Information zwingend mit der Mitteilung verknüpfen, ob und wann ein Verstoß behoben wurde; dies ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich unerlässlich. Ansonsten sei die Veröffentlichung des Verstoßes zur Erreichung des Informationsziels nicht geeignet, weil beim Verbraucher als Adressat der Information die Fehlvorstellung entstehen könnte, der Verstoß bestehe fort. Für die Verbraucherentscheidung werde es aber regelmäßig eine Rolle spielen, ob und wie schnell ein Verstoß abgestellt wurde. Daraus folgt, dass die behördliche Information über die Rechtsverstöße umgehend zu aktualisieren ist, sobald eine Änderung der tatsächlichen Situation eingetreten ist (z. B. Feststellung der Mängelbeseitigung). Neben dem Interesse des Unternehmers, sich zu rehabilitieren, wird dies auch dem vorerwähnten Verbraucherinteresse nach Erhalt von richtigen, aktuellen Informationen gerecht. Dies geht somit einher mit der Verpflichtung der Behörde, die Aktualität des Ergebnisses zeitnah zu gewährleisten.
  • Bei der ohnehin heiklen Einbeziehung von Verdachtsfällen, d.h. während laufender Verfahren, sind an die behördliche Informationsgewährung und deren Tatsachengrundlage nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts von Verfassungs wegen äußerst strenge Anforderungen zu stellen. § 40 Abs. 1a LFGB erfordert einen hinreichend begründeten Verdacht; ein in tatsächlicher Hinsicht unaufgeklärter oder unzureichend aufgeklärter Verdacht der Behörde genügt nicht. Vielmehr muss der Verdacht schon nach dem Wortlaut der Vorschrift durch Tatsachen hinreichend begründet sein. Die Behörde wird vom Gesetzgeber daher zu einer abschließenden Ermittlung der Tatsachen verpflichtet.
  • Für den Fall der Probenahme weist das Bundesverfassungsgericht unter Verweis auf die gesetzliche Konkretisierung darauf hin, dass sich der Verdacht auf mindestens zwei unabhängige Untersuchungen gründen muss. Mit Blick auf die vom Bundesverfassungsgericht betonten strengen Anforderungen an die sachliche Richtigkeit der veröffentlichten behördlichen Information und die Hinweise auf den gesetzgeberischen Willen ist nochmals darauf hinzuweisen, dass das Tatbestandsmerkmal „zwei unabhängige Untersuchungen“ im Verfahrensgang der Gesetzesnovelle von 2011 erst nachträglich und gezielt in den damaligen Entwurf eingefügt wurde, um einen vorschnellen und auf nicht ausreichender Verifizierung beruhenden Veröffentlichungsautomatismus zu verhindern. Es dürfte daher im Sinne „zwei unabhängige Untersuchungen von verschiedenen Stellen“ zu verstehen sein. Auch aus dem Protokoll der 147. Sitzung des Deutschen Bundestages am 02.12.2011, Nr. 17/747, S. 17618, 17620 lässt sich der Wille des Gesetzgebers in diesem Sinne herauslesen.
  • Hieran hat sich das Maß erforderlicher Tatsachenaufklärung nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch für den Fall zu orientieren, dass dem Verdacht eines Verstoßes nicht durch Proben, sondern auf andere Weise (z.B. durch Betriebskontrollen) nachgegangen wird. In jedem Fall müssen die den Verdacht begründenden Tatsachen aus Sicht der Behörde aufgeklärt, d.h. ausermittelt, und in den Überwachungsergebnissen entsprechend dokumentiert sein.

Erheblichkeitsschwellen sind von Bedeutung – § 40 Abs. 1a Nr. 1 LFGB (Rn. 51)
Zur Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Nr. 1 LFGB bei Überschreitungen von Grenzwerten, Höchstgehalten und Höchstmengen wird im Beschluss nur beiläufig erwähnt, dass es in der Natur der Sache liege, wenn bereits geringe Überschreitungen eine Rechtsfolge auslösen würden. Das mag formell richtig sein, ist aber nicht isoliert von der tatsächlichen Herstellungspraxis sowie den wirtschaftlichen Auswirkungen für das betroffene Unternehmen zu sehen und kann daher nicht unkommentiert bleiben.

Das Bundesverfassungsgericht anerkennt die den Werten immanenten Erheblichkeitsschwellen, die daraus gezogene Schlussfolgerung, dass jedwede Überschreitung eine Veröffentlichungspflicht nach sich ziehe, ist aber zu kurz gegriffen. Die numerisch festgelegten Grenzwerte, Höchstgehalte oder Höchstmengen sind bei Pestiziden und Kontaminanten häufig nur für die Rohprodukte verfügbar. Da sich die Höhe dieser Rückstände und Kontaminanten in und auf unverarbeiteten Lebensmitteln unter dem Einfluss von Verarbeitungsprozessen verändern kann, ist eine Rückrechnung mittels Verarbeitungsfaktoren zwingend erforderlich. Die Verarbeitungsfaktoren sind aber nicht gesetzlich oder numerisch festgelegt, sondern sind in der Regel prozessspezifisch und beruhen im idealen Fall auf Verarbeitungsstudien bzw. auf individuellen Berechnungen des Herstellers.

Im Bereich der Pestizidrückstände wird hilfsweise auch auf die vom BfR veröffentlichten Datensammlungen zu Verarbeitungsfaktoren zurückgegriffen, die aus Modellstudien im Rahmen der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln stammen, aber nicht rechtsverbindlich sind. Da unterschiedliche Berechnungsmethoden zu unterschiedlichen Werten führen können, die über bzw. unter dem gesetzlich festgelegten Höchstgehalt für das Rohprodukt liegen, existiert gerade in den Bereichen Pestizidrückstände und Kontaminanten für nicht explizit geregelte verarbeitete Produkte durch den gesetzlich nicht näher spezifizierten Verarbeitungsfaktor eine Rechtsunsicherheit. Dieser Imponderabilität sollte daher auch beim Vollzug des § 40 Abs. 1a Nr. 1 LFGB im Einzelfall über die Berücksichtigung einer Erheblichkeitsschwelle Rechnung getragen werden.

Hohe Anforderung an Auslegung des Merkmals „von nicht unerheblichem Ausmaß“ - § 40 Abs. 1a Nr. 2, 1. Alt. LFGB (Rn. 52 ff.)
Da neben der Bußgelderwartung von mindestens 350 Euro als kumulative Voraussetzung auch stets ein Verstoß von nicht nur unerheblichem Ausmaß vorliegen muss, sieht das BVerfG keinen Anlass dafür, sich dezidiert mit der Frage des Ausschlusses von Bagatellfällen auseinanderzusetzen. Der unbestimmte Rechtsbegriff des „Verstoß nicht nur unerheblichen Ausmaßes“ hat damit entscheidenden Einfluss auf die verfassungskonforme Anwendung der Regelung und muss nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts durch die zuständigen Behörden anhand von quantitativen und qualitativen Kriterien konkretisiert werden. Dabei können nur solche Verstöße als erheblich gelten, „die von hinreichendem Gewicht sind, um für die betroffenen Unternehmen potentiell gravierende Folgen zu rechtfertigen“. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Eingriffsintensität und der wirtschaftlichen Folgen der Namensveröffentlichungen muss für den Betroffenen im Einzelfall er-kennbar und nachvollziehbar sein, wie die veröffentlichende Behörde die „Erheblichkeitsschwelle“ als entscheidendes Tatbestandsmerkmal ausfüllt und begründet.

Es erscheint in diesem Zusammenhang auch als ein Gebot der Transparenz und der Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns, entsprechende Kriterienkataloge in Ländererlassen gegenüber der Lebensmittelwirtschaft und damit potentiell be-troffenen Unternehmen frühzeitig offenzulegen.

§ 40 Abs. 1a Nr. 2, 2. Alt. LFGB (Rn. 55 ff.)
Neben der mit der ersten Alternative gleichlautenden Bußgelderwartung bedarf es in dieser Variante vor Veröffentlichung des Verdachts, dass gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich des LFGB wiederholt verstoßen wurde. Offen bleibt hier, welche „Qualität“ diese (wiederholten) Rechtsverstöße haben müssen und wann überhaupt von wiederholten Verstößen gesprochen werden kann (zwei oder mehr Verstöße?).

Einziges Korrektiv soll die 350-Euro-Bußgeldschwelle sein, die ihrerseits aufgrund der Beliebigkeit kein zuverlässiger Indikator ist. Gravierend ist dabei vor allem der Umstand, dass § 40 Abs. 1a Nr. 2 LGFB lediglich eine Prognose verlangt – d. h. keine rechtskräftige Entscheidung diesbezüglich. In diesem Zusammenhang ist erneut darauf hinzuweisen, dass zur Festlegung des Bußgeldes im Lebensmittelrecht keine objektiven und einheitlichen Kriterien für die Bußgeldhöhe existieren, wie etwa ein bundeseinheitlicher Bußgeldkatalog.

Vielmehr steht die Bemessung der Bußgeldhöhe im Ermessen der zahlreichen zuständigen Behörden und hängt nicht zuletzt auch von den subjektiven und persönlichen Umständen des Unternehmens ab, wie z.B. der Schuldeinsicht, des Einkommens oder des möglichen Nachweises einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Begehung, die im Rahmen des Ermessens zudem unterschiedlich stark gewichtet werden können. Für das betroffene Lebensmittelunternehmen ist es daher gerade in Grenzfällen kaum vorhersehbar, welche Bußgeldhöhe „zu erwarten“ ist und ob in Folge dessen eine Veröffentlichungspflicht der Behörde besteht oder nicht. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Grundrechtsintensität und der wirtschaftlichen Folgen der Namensveröffentlichungen muss auch hier für den Betroffenen im Einzelfall erkennbar und nachvollziehbar sein, wie die veröffentlichende Behörde die entscheidenden Tatbestandsmerkmale ausfüllt und begründet.

Fehlen einer zeitlichen Begrenzung (Rn. 56 ff.)
In Ermangelung einer Regelung zur zeitlichen Begrenzung der Informationsverbreitung im Gesetz ist § 40 Abs. 1a LFGB nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts unverhältnismäßig im engeren Sinne. Dies resultiert daraus, dass die mit der Regelung einhergehenden intensiven Grundrechtsbeeinträchtigungen mit der Dauer der Veröffentlichung in Schieflage zu den mit der Veröffentlichung erreichbaren Zwecken geraten:

  • Je länger die Verbreitung andauert, desto größer wird die Diskrepanz zwischen der über die Zeit steigenden Gesamtbelastung des Unternehmens einerseits und dem abnehmenden Wert der Information für die Verbraucher andererseits.
  • Je weiter der Verstoß zeitlich entfernt ist, desto geringer ist noch der objektive Informationswert seiner Verbreitung.
  • Je länger eine für das Unternehmen negative Information in der Öffentlichkeit verbreitet wird, desto größer ist auf der anderen Seite dessen Belastung.

Die zeitliche Begrenzung der Veröffentlichung ist somit verfassungsrechtlich zwingend geboten; etwaige technische Umsetzungsprobleme bei Löschungsvorgängen im Internet stehen der Forderung nicht entgegen. Adressat der Ausgestaltung ist in Anlehnung an das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausschließlich der nationale Gesetzgeber.

Erstaunlich ist allerdings, dass das Bundesverfassungsgericht die beschriebenen Besonderheiten des Internets und damit die real fortdauernden Wirkungen von Namensveröffentlichungen für die Unternehmen verkennt. So hat die Lebensmittelwirtschaft mehrfach darauf hingewiesen, dass die Veröffentlichung solcher Informationen de facto irreversibel und aufgrund der permanenten und allzugänglichen Verfügbarkeit und unvorhersehbaren Verbreitungsmöglichkeiten nicht löschbar ist.

Da die Behördenpraxis zu Löschungsfristen als nicht rechtsverbindlich eingestuft wird, können auch die bislang ergangenen Vollzugshinweise der Landesregierungen mit einer Veröffentlichungsdauer von längstens zwölf Monaten allenfalls eine nicht übertretbare Obergrenze markieren; der Beschluss lässt aber weiterhin Raum für angemessene, kaskadenhafte Ausgestaltungen. In diesem Zusammenhang ist auf die saarländische Praxis zur Veröffentlichungsdauer bestandskräftiger Bußgeldentscheidungen im Lebensmittelbereich nach § 6 Abs. 1 Satz 3 VIG hinzuweisen (Bei erstmaligen Verstößen erfolgt die Veröffentlichung für die Dauer eines Monats. Bei wiederholten Verstößen innerhalb von sechs Monaten nach dem Erst-verstoß für die Dauer von drei Monaten). Einzuhalten ist bei Schaffung der Neuregelung jedenfalls ein Abwägungsprozess, bei dem alle bedeutsamen Parameter einfließen.

Neben diesen zwingenden, vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich aufgegriffenen Vorgaben sind bei der künftigen Ausgestaltung und dem behördlichen Vollzug der Vorschrift zudem weitere rechtliche Anforderungen zu beachten und zu erfüllen:

  • Unschuldsvermutung
    Die weitere Ausgestaltung und der Vollzug des § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB sind am Maßstab der Unschuldsvermutung aus Art. 6 EMRK zu messen, der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch Element des Rechtstaatsprinzips i.S.d. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Die Unschuldsvermutung gilt nicht nur im Straf-, sondern auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren und schützt den Betroffenen vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist.

    Anknüpfungspunkt bei § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB ist lediglich ein zu erwartendes Bußgeld; eine gerichtliche Feststellung eines tatsächlichen Verstoßes und einer spezifizierten Bußgeldhöhe sind keine Voraussetzung. Infolgedessen wird eine nur voraussichtliche Bestrafung mit einer staatlichen Lenkungsmaßnahme in Form der Veröffentlichung sanktioniert, was in der Sache dem Antizipieren eines Verfahrens gleichkommt.

    Der BLL hat daher den bekannten Strafrechtler Prof. Dr. Rainer Hamm, Frankfurt am Main, damit beauftragt, sich dieser spezifisch strafrechtlichen bzw. strafprozessualen Fragestellung nochmals gutachterlich zu-widmen. Der BLL wird die Ergebnisse der gutachterlichen Untersuchung sowohl in die weiteren Diskussionen zur Thematik einbringen als auch öffentlich machen.

  • Fehlendes Ermessen /“Veröffentlichungsautomatismus“
    Der Angemessenheit der Regelung steht weiterhin entgegen, dass sie eine gebundene Entscheidung vorsieht, der zuständigen Behörde also kein Entschließungsermessen darüber zusteht, ob sie im individuellen Fall veröffentlichen will oder nicht. Es besteht allein ein Auswahlermessen hinsichtlich der Art und Ausgestaltung der Veröffentlichung, welches durch die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungskonformen Anwendung nun konturiert wurde.

    Bereits bei einem Vergleich mit der Gefahrenabwehrvorschrift des § 40 Abs. 1 LFGB, der selbst im Falle von Gesundheitsgefahren eine Ermessenentscheidung vorsieht, erscheint eine gebundene Entscheidung bei einem Verdacht iS.d. § 40 Abs. 1a Nr. 1 oder Nr. 2 LFGB aus Transparenzmotiven allein nicht angemessen.

    Je weiter die Information von einem konkreten Gesundheitsbezug ent-fernt ist, desto größer wiegt das Schutzinteresse des Unternehmers. Eine gebundene Entscheidung fern jeder Gesundheitsgefahr lässt sich mit diesem Grundgedanken nur schwerlich in Einklang bringen – zumal keine vergleichbaren Rechtsgüter im Raum stehen.

    Widersprüchlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung das fehlende Selbsteintrittsrecht des Unternehmers in Fällen des § 40 Abs. 1a LFGB nicht bemängelt. Es verweist vielmehr darauf, dass „ein Selbsteintrittsrecht zwar ein milderes Mittel wäre als die behördliche Information, es wäre aber nicht so effektiv“. Umso erstaunlicher erscheint es, dass der Gesetzgeber das Selbsteintrittsrecht in den Fällen der Gefahrenabwehr (§ 40 Abs. 1 LFGB) ausdrücklich gewährt (d.h. dort wo es auf eine effektive, genaue und zeitnahe Verbraucherinformation ankommt), im Bereich der Transparenzfälle jedoch ausklammert.

  • Verhältnis zu Basis-VO und Kontroll-VO (Rn. 5 ff., 20 ff.)
    Die europarechtliche Zulässigkeit einer Norm, die die Information der Öffentlichkeit nicht an eine Gefahr für die Lebensmittelsicherheit knüpft, ist sehr zweifelhaft. Die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Berger (Urteil vom 11.04.2013, C-636/11) beschränkt sich auf den Bereich der Lebensmittelsicherheit.

    Demnach könnten die nationalen Behörden die Verbraucher auch dann informieren, wenn Lebensmittel zwar nicht gesundheitsschädlich, aufgrund ihrer Ungeeignetheit für den Verzehr durch den Menschen jedoch nicht den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit genügen. Zu den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit nach Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 allerdings ausschließlich gesundheitsgefährdende und verzehrsungeeignete Lebensmittel zu zählen. In den Gründen weist der EuGH auf die in Art. 17 Abs. 2 UAbs. 2 Basis-Verordnung vorgesehene Befugnis der Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer amtlichen Lebensmittelüberwachung Informationen über die Sicherheit und Risiken von Lebensmitteln öffentlich bekannt zu geben, besonders hin.

    Weitere Fragen einer unionsrechtlichen „Sperrwirkung“ des Art. 10 Basis-Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und des Art. 7 Verordnung (EG) Nr. 882/2004, z.B. im Hinblick auf Täuschungsfälle, nicht gesundheitsbezogene Grenzwerte oder allgemeine Hygieneverstöße, gegenüber deutscher Gesetzgebung sind noch offen.

Fazit

Der lang erwartete Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gibt nunmehr eine Grundorientierung in Sachen Namensveröffentlichung, lässt aber wichtige Fragen unbeantwortet.

In jedem Falle stellt er den Behörden der amtlichen Lebensmittelüberwachung je-doch keinen „Freifahrschein“ zur unreflektierten Veröffentlichung von Unternehmens- und Produktnamen im Internet auf der Grundlage des § 40 Abs. 1a LFGB aus. Mit Blick auf den künftigen Vollzug setzt das Bundesverfassungsgericht den Überwachungsbehörden vielmehr klare Leitplanken zur verfassungskonformen Anwendung des § 40 Abs. 1a LFGB, die es strikt zu beachten gilt. Da die konkrete Ausfüllung den Vollzugsbehörden überlassen bleibt, steht allerdings eine uneinheitliche Anwendung der Veröffentlichungspflicht in den Bundesländern zu befürchten. Auch wenn ein unreflektierter behördlicher „Veröffentlichungsautomatismus“ durch einen verantwortungsvollen Vollzug in Zukunft hoffentlich vermieden werden kann, lassen die in diesem Rahmen fortbestehenden Rechtsunsicherheiten weitere gerichtliche Auseinandersetzungen erwarten.

Der BLL begrüßt, dass der Gesetzgeber bis Ende April 2019 aufgefordert ist, eine angemessene zeitliche Grenze einzuziehen und die Länder im Rahmen des Vollzugs mit sofortiger Wirkung eine durchweg verfassungskonforme Anwendung der Regelung zu gewährleisten haben. Im Sinne der Rechtssicherheit und einer rechtssystematisch einwandfrei konstruierten Norm wäre es aber wünschenswert, wenn der Gesetzgeber den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass nehmen würde, § 40 LFGB unter Einbeziehung der beteiligten Kreise einer kritischen Generalrevision zu unterziehen.