Aktuelle Hinweise zum Stand der Diskussionen zur Umsetzung der Mehrwegangebotspflicht
Am 1. Januar 2023 wird die im Verpackungsgesetz vorgegebene Mehrwegangebotspflicht wirksam. Lebensmittelanbieter, die sog. „To-Go-Getränke“ und „Take-Away-Essen“ anbieten, sind verpflichtet, Alternativen anzubieten. Es gibt nur wenige Ausnahmen.
Am 1. Januar 2023 wird die im Verpackungsgesetz (Fassung vom 21.6.2021) vorgegebene Mehrwegangebotspflicht wirksam. Lebensmittelanbieter, die sog. „To-Go-Getränke“ und „Take-Away-Essen“ anbieten, sind verpflichtet, alternativ zu einer möglichen Einwegkunststoffverpackung oder Einweggetränkebechern auch Mehrwegbehältnisse anzubieten; ausgenommen sind lediglich kleine Verkaufsstellen unter bestimmten, im Gesetz genannten Bedingungen.
Der Umfang der Mehrwegangebotspflichten und der Ausnahmeregelungen ist in §§ 33 und 34 des Verpackungsgesetzes nicht in allen Formulierungen ausreichend klar geregelt; sie bringen zwar die Zielsetzung des Gesetzgebers zum Ausdruck, werfen jedoch für die Anwender nach wie vor Auslegungsfragen auf, insbesondere aufgrund der Vielfalt der Angebots- und Abgabeformen.
In Abstimmung mit Fachverbänden und Unternehmen hat der Lebensmittelverband Deutschland e. V. im Oktober 2021 seinen „Fragen- und Antworten“-Katalog zur Auslegung des Verpackungsgesetzes veröffentlicht. Bei der Interpretation folgt der Lebensmittelverband dem Wortlaut des Gesetzestextes in §§ 33 und 34 Verpackungsgesetz in Verbindung mit den Begriffsbestimmungen des § 3 Verpackungsgesetz unter Heranziehung der Amtlichen Begründung. Darüber hinaus sind für die Auslegungen des Lebensmittelverbandes die Vereinbarkeit der (neuen) Mehrwegangebotspflichten mit den bestehenden Grundpflichten des Lebensmittelunternehmers zur Gewährleistung der einwandfreien Hygiene im Umgang mit Lebensmitteln und seiner Verantwortung für den gesundheitlichen Verbraucherschutz leitend.
Die betroffenen Lebensmittelunternehmer der Gastronomie, der Systemgastronomie, des Einzelhandels und des Lebensmittelhandwerks bereiten sich derzeit intensiv auf das unmittelbar bevorstehende Wirksamwerden vor, wobei die „Fragen und Antworten“ des Lebensmittelverbandes als Orientierungshilfe fungieren. Diese Umsetzung der Vorgaben stellt eine besondere Herausforderung dar, da sich die Unternehmen in den genannten Branchen infolge der gegenwärtigen Krisen ohnehin in einer extrem angespannten Lage befinden, weshalb eine effiziente, pragmatische und auch einheitliche Umsetzung in allen Bundesländern wichtig ist.
Derzeit ist keine abgestimmte, gefestigte Meinung der Behörden im Sinne einer bundesweit einheitlichen Vollzugsleitlinie bekannt; verschiedene involvierte Behörden vertreten bei Anfragen oder mit eigenen „Merkblättern“ vielmehr bislang unterschiedliche Auffassungen zur Auslegung einzelner Vorgaben der Mehrwegangebotspflichten, die zum Teil auch im Widerspruch zu den Hinweisen des Lebensmittelverbandes stehen.
Im Sinne einer u. E. notwendigen Klärung der behördlichen Auffassungen zur Auslegung der §§ 33 und 34 Verpackungsgesetz und einer bundesweit einheitlichen Anwendung der Vorgaben, ist dem Lebensmittelverband nunmehr auf Anfrage vom Vorsitz der Bund/Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) mitgeteilt worden, dass derzeit ein zwischen Bund und Ländern abgestimmter „Leitfaden zur Umsetzung der Mehrwegangebotspflicht“ unter Federführung des Umweltbundesamtes (UBA) erarbeitet werde. Mit einer Veröffentlichung durch LAGA ist frühestens im Februar 2023 zu rechnen.
Auch wenn derzeit der Inhalt des von Bund und Ländern abgestimmten Leitfadens noch nicht bekannt ist, lässt es die Konstellation der Bund-Länder-Arbeitsgruppe und die Verortung der Federführung beim UBA wahrscheinlich erscheinen, dass sich die abgestimmten Auslegungen im Leitfaden in den kontroversen Punkten eher an den restriktiven Auslegungen des UBA orientieren werden. Vor diesem Hintergrund gibt der Lebensmittelverband hiermit ergänzende Hinweise zu einigen Punkten, zu denen unterschiedliche Rechtauffassungen von Lebensmittelwirtschaft und UBA bekannt sind.
Es obliegt den Unternehmen, bei der Umsetzung der Vorgaben der §§ 33 und 34 Verpackungsgesetz abzuwägen, welcher Rechtsauffassung sie folgen wollen, da eine finale Klarstellung zur Auslegung der Vorgaben im Zweifel den Gerichten vorbehalten ist. Die Abwägung ist abhängig von dem Umfang des „Außer-Haus-Geschäfts“ im Rahmen der jeweiligen gastronomischen Tätigkeiten, vom daran geknüpften Handlungsbedarf und den Kostenfolgen für das Einzelunternehmen. Die Entscheidung eines Unternehmens hängt auch davon ab, ob zur Vermeidung von möglichen behördlichen Beanstandungen vorsorglich den vermutlich weitergehenden Erwartungen von Bund und Ländern Rechnung getragen werden soll oder die Bereitschaft zur gerichtlichen Klärung der von der Behördenseite abweichenden Rechtsauffassungen besteht.
Der Lebensmittelverband zeigt mit seinen Hinweisen in erster Linie die Mindestanforderungen der rechtlichen Mehrwegangebotspflicht auf, die sich auf bestimmte Mahlzeiten zur Mitnahme oder Getränke zur Mitnahmen beziehen, soweit diese nach Wortlaut, Sinn und Zweck, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie unter Berücksichtigung der Schutzziele des gesundheitlichen Verbraucherschutzes vertretbar sind. Der Lebensmittelverband wendet sich nicht gegen darüberhinausgehende, z. T. von Behörden und Initiativen empfohlene Maßnahmen, um eine ehrgeizige Verbrauchsminderung von Einwegbehältnissen zu erreichen. Die Entscheidung darüber bleibt jedoch jedem betroffenen Unternehmen vorbehalten.
Da der angekündigte LAGA-Leitfaden erst nach Inkrafttreten der Mehrwegangebotspflicht zur Verfügung stehen wird, können sich die Unternehmen bei der Prüfung der Maßnahmen derzeit nicht an einem bundesweiten Konsens der Behörden orientieren; der Lebensmittelverband wird deshalb die Vollzugsbehörden auffordern, diese Unsicherheit nach dem Stichtag 1. Januar 2023 durch maßvolle Vorgehensweise beim Vollzug der Vorschriften zu berücksichtigen.
Hinweise zu aktuellen Diskussionspunkten bei der Mehrwegangebotspflicht:
Vorverpackte Lebensmittel / Befüllen in Nebenräumen
Im Verkehr mit Lebensmitteln ist der Begriff „vorverpackte Lebensmittel“ (früher Fertigpackungen) rechtlich definiert und im Verständnis gefestigt. Nach geltendem Lebensmittelrecht (EU-Lebensmittelinformationsverordnung, LMIV) ist ein vorverpacktes Lebensmittel „jede Verkaufseinheit, die aus einem Lebensmittel und der Verpackung besteht, in die das Lebensmittel vor dem Feilbieten verpackt worden ist. Lebensmittel, die auf Wunsch des Verbrauchers/der Verbraucherin am Verkaufsort verpackt oder im Hinblick auf ihren unmittelbaren Verkauf vorverpackt werden, werden von dem Begriff „vorverpacktes Lebensmittel“ nicht erfasst.“
Vorverpackte Lebensmittel haben verpflichtende Informationen und Kennzeichnungselemente zu tragen i. d. R. auf Etiketten. Die in der LMIV beschriebenen Kriterien eines „vorverpackten Lebensmittels“ treffen sowohl für die im Verpackungsgesetz beschriebene Abgabeform (§ 33 „erst beim Letztvertreiber befüllt“) als auch für die beschriebenen Lebensmittel (§ 3 Abs. 4b „unmittelbar zum Verzehr bestimmt“) nicht zu. Sie sind sogar explizit als „nicht erfasst“ beschrieben. Deshalb ist richtig, dass für „vorverpackte Lebensmittel“ im Sinne der LMIV keine Mehrwegangebotspflicht geltend gemacht werden kann, auch wenn diese Ware in den Räumen bzw. vom Unternehmen selbst hergestellt, verpackt und feilgehalten wird.
Da die Mehrwegangebotspflicht für das Anbieten bestimmter Lebensmittel („Speisen zur Mitnahme“) und Getränke gilt und insoweit für gastronomische Tätigkeiten eines Letztvertreibers, findet das Befüllen eines Einweg- oder alternativen Mehrwegbehältnisses üblicherweise zur Realisierung eines Kundenwunsches statt. Weiteres Merkmal ist, dass dies in räumlicher und zeitlicher Nähe beim Anbieter (Letztvertreiber) geschieht – unabhängig davon in welchen betrieblichen Räumen.
Folien, Tüten, Wrappers
Nach § 3 Abs. 4b) Verpackungsgesetz sind „Einwegkunststofflebensmittelverpackungen (…) Behältnisse wie Boxen mit oder ohne Deckel, für Lebensmittel, die 1. dazu bestimmt sind, unmittelbar verzehrt zu werden, entweder vor Ort oder als Mitnahme-Gericht, 2. in der Regel aus der Verpackung heraus verzehrt werden und 3. ohne weitere Zubereitung wie Kochen, Sieden oder Erhitzen verzehrt werden können; keine Einwegkunststofflebensmittelverpackungen in diesem Sinne sind Getränkeverpackungen, Getränkebecher, Teller sowie Tüten und Folienverpackungen, wie Wrappers, mit Lebensmittelinhalt.“ Insoweit ist im Wortlaut des Verpackungsgesetzes der Anwendungsbereich der Mehrwegangebotspflicht beschrieben; die Nichtanwendung auf bestimmte Einwegkunststofflebensmittelverpackungen wird klar zum Ausdruck gebracht.
In den Leitlinien der Kommission über Einwegkunststoffartikel in Übereinstimmung mit der Richtlinie (EU) 2019/904 über die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt (SUPD) werden u. a. „Folienverpackungen (Wrappers)“ als Einwegkunststoffverpackung beschrieben. Demnach sind Wrappers, d. h. Einschlagpapiere den Folienverpackungen gleichgestellt, sofern sie materiell entsprechend beschaffen sind, d. h. mit Kunststoffanteilen, und nicht ausschließlich aus Papierfaserstoffen bestehen.
Nach § 3 Abs. 4b) des Verpackungsgesetzes bringt jedoch zum Ausdruck, dass Wrappers bei Abgabe mit Lebensmitteln nicht als Einwegkunststofflebensmittelverpackungen im Sinne der §§ 33 und 34 gelten. Folglich ist zu schließen, dass für die Abgabe von Take-Away-Speisen unter Befüllen von „Tellern, Tüten, Folienverpackungen wie Wrappers“ mit Lebensmittelinhalt keine Mehrwegalternative verlangt ist.
In der Praxis lässt sich ein adäquates „Mehrwegangebot“ für flexible Folienverpackungen, Tüten oder Wrappers, also Einschlagpapieren, derzeit auch nicht realisieren, da Fragen der Reinigung, Wiederbereitstellung und erforderlichen Lebensmittelhygiene sowie die der alternativen Materialbeschaffenheiten nicht gelöst sind.
Deckel für Getränkebecher
Abgabe und Gebrauch von (Heiß-)Getränkebechern kann mit und ohne Deckel erfolgen; ein Becher-Deckel ist ein fakultatives Zusatzelement, das nicht in die Verpackung integriert ist, das nicht unmittelbar daran befestigt ist und auch keine essentielle Verpackungsfunktion erfüllt. Unter diesen Bedingungen sind solche Becher-Deckel auch nach SUPD-Richtlinie kein integraler Bestandteil der Verpackung. Insofern sind Einweg-Deckel für Mehrweggetränkebecher kein Widerspruch zur Mehrwegangebotspflicht.
Materialien
Die europäische Einwegkunststoff-Richtlinie (SUPD) und deren nationale Umsetzungsmaßnahmen zielen auf die Verbrauchsminderung von Einwegkunststoffprodukten und Vermeidung von Umwelt¬vemüllung. In diesem Sinne sind ausschließlich kunststoffbasierte und kunststoffhaltige Produkte geregelt, auch aus „Bio-Kunststoffen“ nach den Definitionen der SUPD. Lebensmittelgeeignete Nicht-Kunststoffmaterialien z. B. Papier, Aluminium oder Naturmaterialien sind als Einwegverpackungen für Take-Away-Lebensmittel grundsätzlich möglich und unbenommen. Sie können in der Praxis die Alternative zu Einwegkunststoffen sein und werden von der Mehrwegangebotspflicht nicht berührt, ungeachtet der ökologischen Fragen.
Filialen und Franchisebetriebe
Adressiert von der Mehrwegangebotspflicht sind „Letztvertreiber“, die im Rahmen ihrer Tätigkeiten auf definierten Verkaufsflächen zur Mitnahme geeignete Behältnisse für den Verzehr von Speisen und Getränken befüllen. Unternehmen mit kleiner Verkaufsfläche und geringem Personalbestand sind dabei von der Mehrwegangebotspflicht ausgenommen.
Das bringt zum Ausdruck, dass zusätzliche Mehrwegangebote ausreichende räumliche und personelle Bedingungen in einer Verkaufsstätte erfordern. Denn in allen Lebensmittel-Betriebsstätten müssen unabdingbar die auf den Verbraucherschutz ausgerichteten Hygienemaßnahmen herrschen (können), insbesondere im Umgang mit Mehrweggeschirr. Die Mehrwegangebotspflicht lässt sich nicht nur ableisten mit dem Befüllen und der Ausgabe von Mehrwegbehältnissen, sondern sie erfordert auch die Zurücknahme von Leergut, dessen sachgemäße Reinigung und Wiederbereitstellung der umlaufenden Mehrweggeschirre. Dies ist zusätzlich in Kleinstbetrieben und auf Kleinstflächen nicht zu leisten, weshalb die Erleichterungen der Ausnahmeregelung des § 34 Verpackungsgesetz diesen Umständen Rechnung tragen.
Werden kleinflächige Filialen z. B. einer Kette nur aufgrund ihrer rechtlichen Zugehörigkeit zu einem Unternehmen nicht individuell mit der jeweiligen Verkaufsfläche als ausnahmeberechtigt betrachtet, entsteht eine unverhältnismäßige Benachteiligung im Vergleich zu rechtlich selbstständigen (Franchise-)Unternehmen. Letztere können bei vergleichbaren räumlichen und personellen Bedingungen von den Ausnahmen Gebrauch machen und damit die Gute Hygienepraxis gewährleisten.