Rückblick auf das BLL-Symposium zur EU-Kontrollverordnung

Food Fraud bekämpfen, Kontrollen gemeinsam optimieren

- Rückblick auf auf das BLL-Fachsymposium im Oktober 2017.

Dr. Tobias Lackner, Task Force Hessen, Regierungspräsidium Darmstadt, mit einem Praxis-Bericht.

Dr. Tobias Lackner, Task Force Hessen, Regierungspräsidium Darmstadt, mit einem Praxis-Bericht.

© BLL/Tobias Rücker
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Die neue EU-Kontrollverordnung gehört für Lebensmittelüberwachung und -wirtschaft zu den wichtigsten Themen des Jahres. In einem zweitägigen Symposium hat der BLL gemeinsam mit erfahrenen Referenten das Thema in seiner ganzen Komplexität beleuchtet. Ein Rückblick.

Ab Ende 2019 gilt die neue EU-Kontrollverordnung, die die Anforderungen an die amtlichen Lebensmittelkontrollen innerhalb Europas für alle Mitgliedsstaaten verbindlich festlegt. Ziel ist es, die Qualität der Kontrollen zu verbessern, Lebensmittelbetrug effektiv zu bekämpfen und so die Sicherheit der Lebensmittel noch weiter zu festigen. Doch wie genau sehen die Neuerungen im Vergleich zur bisherigen Verordnung aus? Welche nationalen Handlungsspielräume gibt es? Kurz – was kommt auf Wirtschaft und Überwachung zu?

Diesen Fragestellungen ist der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V. (BLL) in seinem Symposium am 11. und 12. Oktober mit Experten aus Politik, Verbraucherverbänden, Wirtschaft, Wissenschaft und von Behörden nachgegangen. Am Ende hatten die rund 160 Teilnehmer nicht nur einen detaillierten Einblick in die Bandbreite der Kontrollverordnung erhalten, sondern vor allem auch die Chance der Vernetzung und des Dialogs genutzt.

Dort, wo früher eine Volksbadeanstalt beherbergt war und auch heute noch an ca. fünf Tagen in der Woche reger Badebetrieb herrscht, tagte der Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft mit seinen Gästen – sozusagen auf dem Wasser. Die Location – das Hotel Stadtbad Oderberger in Berlin-Prenzlauer Berg – sorgte direkt von Beginn an für Begeisterung und eine richtig entspannte Atmosphäre, um sich zwei Tage lang mit den komplexen Themen der EU-Kontrollverordnung auseinanderzusetzen.

Die EU-Kontrollverordnung aus Brüsseler und nationaler Sicht

Nach der Begrüßung durch den stellvertretenden BLL-Hauptgeschäftsführer Dr. Marcus Girnau stellte Dr. Georg Schreiber, Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kommission, als einführenden Vortrag die Änderungen und den zeitlichen Fahrplan der EU-Kontrollverordnung vor. Dabei wurde deutlich, dass die stärkere Berücksichtigung von Food Fraud, also Lebensmittelbetrug, in die amtliche Kontrollpraxis einen Schwerpunkt der neuen Verordnung bildet.

Dr. Georg Schreiber: Die neue EU-Kontrollverordnung. Wie sehen Änderungen und zeitlicher Fahrplan aus? (PDF)
Von Brüssel ging es dann nach Bonn. Da die Verordnung auch Raum für nationale Ausgestaltungen bietet, erläuterte Dr. Robert Schaller, Leiter des Referats Lebensmittelüberwachung und Krisenmanagement im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), wo Handlungsbedarf aus Sicht der Bundesregierung liegt. Ein besonderes Augenmerk liegt beispielsweise in der Errichtung nationaler Referenzzentren zusätzlich zu den europaweiten Referenzzentren sowie beim Whistleblower-Schutz.

Für diskussionswürdig hält er die von der Kontrollverordnung eingeräumte Möglichkeit, ob und wie Erkenntnisse aus privaten Zertifizierungen für die amtliche Überwachung nutzbar gemacht werden können. Zum Schluss nahm der BMEL-Vertreter das Auditorium mit auf eine gedankliche Zeitreise in den Dezember 2019: „Mit Geltung der neuen Verordnung sind wir besser gewappnet für Fälle wie Fipronil“, z. B. durch die Verknüpfung der Systeme RASFF (Rapid Alert System for Food and Feed) und AAC (Administrative Assistance and Cooperation System).

Herausforderungen für Kontrolleure

Anja Tittes, Bundesvorsitzende des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure, hatte im Zusammenhang mit Fipronil bereits deutlich gemacht, dass „die deutsche Lebensmittelüberwachung ihren gesetzlichen Auftrag nur lückenhaft erfüllen kann“. Wegen chronischen Personalmangels – es fehlen1.200 bis 1.500 Mitarbeiter – würden die rund 2.500 Kontrolleure nicht einmal 50 Prozent der risikoorientierten Kontrollen, die durchgeführt werden müssten, bewältigen.

Diese und weitere Herausforderungen der Lebensmittelüberwachung, z. B. die lückenhafte Vernetzung von Datenbanken und Menschen und das Fehlen einer zentralen Probenahmedatenbank, stellte Tittes in ihrem Vortrag vor und pointierte: „Nichts ist so international, wie die Lebensmittelherstellung und gleichzeitig ist nichts so lokal, wie die amtliche Lebensmittelüberwachung in Deutschland“.

Anja Tittes: Kontrollmanagement globaler Warenströme: (neue) Herausforderungen für die Vor-Ort-Überwachung? (PDF)

Food Fraud – Lebensmittelfälschungen auf der Spur

Der zweite Themenkomplex der Veranstaltung beschäftigte sich mit Lebensmittelfälschungen. Food Fraud ist nicht erst seit dem Pferdefleisch in der Lasagne ein Thema und angesichts globaler Warenströme eine bedeutende Herausforderung. Die erste Frage, die sich dabei stellt, ist, wie man Lebensmittelfälschungen überhaupt erkennen kann.

Dr. Kristina Kappel, Wissenschaftlerin am Max Rubner-Institut, erklärte in ihrem Vortrag anschaulich, wie man die Echtheit von Lebensmitteln überprüft, z. B. anhand genetischer Sequenzierung bei der Speziesüberprüfung von Fischen. Am Max Rubner-Institut werde seit vielen Jahren zur Authentizität von Lebensmitteln geforscht und Analysemethoden entwickelt. Dort wurde in diesem Jahr das „Nationale Referenzzentrum für Echtheit und Integrität in der Lebensmittelkette“ eingerichtet.

Ina Kinder, Staatsanwältin und Leiterin der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Food Fraud“, präsentierte Zahlen zum Lebensmittelbetrug, stellte die Aufgaben der Bund-Länder Arbeitsgruppe vor und gewährte Einblicke in die Handlungsnotwendigkeiten aus Sicht des Landes Berlin sowie in die Arbeit des Runden Tisches „Food Fraud“ in Berlin und seine Aufgaben. Olivenöl, Milch, Honig und Safran seien die fälschungsanfälligsten Lebensmittel. Olivenöl mache allein 25 Prozent aus, d. h. in jedem vierten Fall von Food Fraud gehe es um Olivenöl.

Außerdem wies Ina Kinder darauf hin, dass es keine einheitliche rechtliche Definition des Begriffes Food Fraud gebe. Sie stellte deshalb zur Diskussion, ob man nicht besser von Lebensmittelkriminalität sprechen sollte, da der Begriff „Betrug“ strafrechtlich eindeutig festgelegt sei. Die Definition des Expertenbeirats Lebensmittelbetrug lautet übrigens wie folgt: „Lebensmittelbetrug ist ein Sammelbegriff, der den vorsätzlichen und unerlaubten Austausch oder Zusatz, die Verfälschung oder die Falschdarstellung von Lebensmitteln, Lebensmittelbestandteilen oder Lebensmittelverpackungen und außerdem auch täuschende Aussagen über ein Produkt umfasst – mit der Absicht, dadurch einen wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen“.

Ina Kinder: Food Fraud als neue Aufgabe – Kernpunkte aus Sicht des Landes Berlin (PDF)
Den Abschluss im Themenkomplex Food Fraud machte Dr. Gunter Fricke, Leiter des Qualitätsmanagement bei Nestlé Deutschland, der die Herausforderungen der Wirtschaft und den Umgang seines Unternehmens mit der Thematik herausstellte. Er resümierte: „Sichere Lebensmittel erhält man nicht durch Kontrollen allein, sondern nur durch ein umfassendes, kontinuierlich verbessertes und auf Wirksamkeit überprüftes Food Safety System.“

Bund-Länder-Task Forces für mehr Lebensmittelsicherheit

2013 wurde nach dem Gutachten des Bundesrechnungshofs und einem Beschluss der Verbraucherschutzministerkonferenz die Einrichtung interdisziplinärer, spezialisierter und überregional tätiger Kontrollteams (Task-Forces) insbesondere zur Kontrolle überregional tätiger Lebensmittel- und Futtermittelunternehmen vorangetrieben. Seitdem sind solche Task-Forces in unterschiedlicher Organisation fester Bestandteil der Lebensmittelüberwachung und des Krisenmanagements in vielen Bundesländern.

Die Vorgeschichte und einen Überblick stellte Brigit Bienzle, stellvertretende Referatsleiterin Lebensmittelüberwachung im Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg, vor. Dr. Tobias Lackner, Leiter des Dezernats für Veterinärwesen und Verbraucherschutz am Regierungspräsidium Darmstadt, verdeutlichte im Anschluss anhand von unterschiedlichen Aufgabenfeldern und Beispielen wie EHEC, Noroviren in Tiefkühlerdbeeren und Betrug bei Haselnüssen und Wein die Notwendigkeit und den Erfolg der überregionalen und interdisziplinären Kontrollteams: „Ohne die Länder Task-Forces würde die Aufklärung solcher Krisen sicher sehr viel länger dauern“, so Dr. Lackner.

Birgit Bienzle: Länder-Task-Forces der Lebensmittelüberwachung. Teil 1: Überblick (PDF)
Dr. Tobias Lackner: Länder-Task-Forces der Lebensmittelüberwachung. Teil 2: Praxisbeispiele (Hessen) (PDF)
Der letzte Referent des ersten Tages, Bernd Kurzai, Justiziar Lebensmittelrecht bei der Südzucker AG, mahnte jedoch in seinem Vortrag zur Task-Force im eigenen Betrieb die Probleme an, die ein Unternehmen, aber auch die Überwachung vor Ort mit der Tätigkeit von Task-Forces haben könne. So müsse die zuständige Kontrollbehörde „mitgenommen“ werden und dürfe durch den Einsatz der Kontrolleinheit nicht eingeschüchtert werden. Außerdem bemängelte er einen zumindest anfangs teilweise razzienhaften Kontrollstil, den er selbst manchmal in den Südzucker-Werken erlebt habe.

Ein Fall für den Staatsanwalt?

Der zweite Tag des Symposiums begann mit Rechtsanwalt Andreas Meisterernst, Kanzlei Meisterernst Rechtsanwälte, der mit seinem Vortrag einen Appell an die Überwachungsbehörden vor Ort richtete, Beanstandungssachverhalte gründlich zu ermitteln und zu überlegen, ob das Einschalten der Staatsanwalt tatsächlich notwendig sei oder nicht andere Sanktionen reichen, um möglicherweise unnötige Kosten für den Steuerzahler und das Binden personeller Kapazitäten zu vermeiden.

So stellte er z. B. den Fall eines Rote Bete-Safts vor, der laut Zutatenverzeichnis 98 Prozent Rote Bete-Saft, ein Prozent Acerolakirschmark und ein Prozent Zitronensaft enthält. Auf dem Rückenetikett ist zudem zu lesen: „wird ausschließlich aus samenfesten Rote Bete Sorten gewonnen“. Meisterernst erklärte: „Obwohl deutlich erkennbar ist, dass sich dieser Satz nur auf den Anteil des Rote Bete-Safts bezieht, leitete die zuständige Behörde ein Strafverfahren gegen den Geschäftsführer wegen vorsätzlicher Irreführung ein. Die Staatsanwaltschaft verfügte natürlich eine Einstellung. Das ist einer der absurdesten Fälle einer unnötigen Einbindung der Staatsanwaltschaft.“

IFS Food als Unterstützung

Die International Featured Standards (IFS) sind weltweite angewandte und anerkannte private Auditierungsstandards zur Lieferantenbewertung. Stephan Tromp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Handelsverband Deutschland und Geschäftsführer der IFS Management GmbH, hat diese maßgeblich mitentwickelt und stellte im Rahmen des Symposiums die Herausforderungen von IFS Food im Rahmen der Zertifizierung internationaler Warenströme vor.

Dabei gab er auch einen kurzen Ausblich im Hinblick auf die anstehende Einbeziehung von Prüfpunkten in Sachen Food Fraud. Denn die EU-Kontrollverordnung fördert zwar die europaweite Zusammenarbeit der Behörden, aber viele Rohstoffe kommen aus der ganzen Welt. Um auch hier höchst mögliche Sicherheit zu erhalten, wird anhand IFS Food überprüft, ob ein Erzeuger nach Kundenwunsch ein sicheres Lebensmittel herstellen kann und ob die entsprechenden Prozesse implementiert sind und funktionieren. Es gebe aber auch Grenzen: IFS Food sei nicht in der Lage, alle fertigen Produkte und Produktgruppen in Bezug auf Lieferantenmanagement, Rohstoffe und Kundenspezifikationen vollständig zu überprüfen. Dies würde die durchschnittliche Dauer eines IFS-audits von zwei bis drei Tagen deutlich übersteigen.

Streitfälle Gebühren und Hygieneampel

Im vierten und letzten Themenkomplex ging es um „Gebühren, Transparenz und Datenschutz“ und damit um öffentlich bereits viel diskutierte Themen wie z. B. Gebühren für Routinekontrollen und die sogenannte Hygieneampel.

Dr. Stefanie Hartwig, Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei ZENK Rechtsanwälte gab als Einführung einen Überblick in die aktuellen Gerichtsverfahren und erste Entscheidungen zu den Gebühren für nicht anlassbezogene Kontrollen. Zwei Bundesländer haben diese Gebühren in unterschiedlicher Ausgestaltung eingeführt: Nordrhein-Westfalen (NRW) und Niedersachsen. In beiden Bundesländern gibt es seitdem viele Klagen seitens der Unternehmen, denen in Niedersachsen im Hinblick auf die Gebührenfestsetzung auch stattgegeben wurden, was rückwirkende Änderungen der Gebührenordnung auslöste.

Von den Gerichten beanstandet wurde z. B. die Höhe des Wegegelds, das der Kontrolleur erstattet bekommt und der tatsächlichen Arbeitszeit vor Ort – mitunter wurde die Fahrtzeit pro Stunde nämlich höher vergütet als die aktive Arbeit im Betrieb pro Stunde. Angesichts des Regierungswechsels in NRW und dem Wahlergebnis in Niedersachsen ist nun laut Dr. Hartwig die entscheidende Frage, wie es mit den Gebührenregelungen in den beiden Bundesländern weitergeht.

Dr. Stefanie Hartwig: Gebühren für amtliche Routine-Kontrollen – Einblick in aktuelle Gerichtsverfahren und erste Entscheidungen (PDF)

Grundrecht auf Transparenz

Wann dürfen Behörden die Ergebnisse der amtlichen Kontrollen mit einer eigenen Bewertung veröffentlichen, um die Öffentlichkeit zu informieren und welche rechtlichen Anforderungen sind dabei aus Sicht der Rechtsprechung zwingend zu berücksichtigen? Dieser Frage ist Dr. Tobias Teufer, Rechtsanwalt und Partner im Hamburger Büro von KROHN Rechtsanwälte in seinem Vortrag nachgegangen und konstatierte. „Es gibt kein Grundrecht auf Transparenz im Lebensmittelrecht.“ Dr. Teufer präsentierte einen umfassenden rechtlichen Anforderungskatalog für die Veröffentlichung von Kontrollergebnissen, z. B. die Chance der Unternehmer auf eine Stellungnahme wie bei Lebensmittelklarheit und zur zeitnahen Rehabilitierung.

Whistleblower-System als Compliance-Baustein

Die EU-Kontrollverordnung sieht vor, dass Whistleblower, die auf Missstände in Unternehmen hinweisen, zukünftig besser vor Diskriminierung und Benachteiligung geschützt werden sollen. Wie das in einem multinational tätigen Unternehmen heute schon in der Praxis funktionieren kann, erklärte Silvia Prähler, Compliance-Managerin bei Nestlé Deutschland. Nestlé hat das Whistleblower-System als ein Baustein des Compliance-Programms implementiert und damit gute Erfahrungen gemacht.

Dr. Alexander Pitzer, Rechtsanwalt bei Krell Weyland Grube, hatte die Ehre, das Symposium abzuschließen. In seinem Vortrag erläuterte er die Risiken und Chancen einer stärkeren Verzahnung von privaten Eigenkontrollen und amtlicher Überwachung. Als mögliche Kriterien einer Einbeziehung in die aktuelle behördliche Risikobeurteilung nannte Dr. Pitzer z. B. die staatliche Anerkennung der privaten Kontrolle, die Festlegung objektiver Prüfkriterien sowie einen Erfahrungsaustausch.

Dr. Alexander Pitzer: Stärkere Verzahnung von Eigenkontrollen und amtlicher Überwachung. Risiken und Chancen (PDF)

Erfolgreicher Austausch

Mit vielen Informationen, Anregungen, Erkenntnissen sowie vor allem dem Wunsch und dem bekundeten Willen nach einer Fortführung des Dialogs zwischen Wirtschaft und Überwachung gingen die Teilnehmer des Symposiums „Die neue EU-Kontrollverordnung“ auseinander. Die Veranstaltung schloss an das erfolgreiche BLL-Fachsymposium „Lebensmittelkontrolle – heute und morgen“ aus April 2014 an.

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