Position zum Verordnungsvorschlag zu nährtwert- und gesundheitsbezogenen Angaben über Lebensmittel
- Die Lebensmittelwirtschaft bewertet den Verordnungsvorschlag der Kommission zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben über Lebensmittel unverändert kritisch. Zwar hat sich das Europäische Parlament im Rahmen der ersten Lesung die Kritik der Lebensmittelwirtschaft weitestgehend zu eigen gemacht und in seiner Plenarsitzung vom 26. Mai 2005 unter anderem die so genannten Nährwertprofile, generelle Kommunikationsverbote und das bürokratische Zulassungsverfahren abgelehnt und durch ein Anzeigeverfahren ersetzt, doch scheinen Kommission und Mitgliedstaaten unbeirrt an genau diesen restriktiven, bürokratischen und wettbewerbs- und innovationsfeindlichen Regelungen festhalten zu wollen.
Hier bleibt noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, damit Verbote und Verbotsermächtigungen, Zulassungsverfahren und andere bürokratische Hürden sowie überzogene Anforderungen an die wissenschaftliche Substantiierung auf das erforderliche Maß zurückgeführt werden. Dies jedoch ist aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft unverzichtbare Voraussetzung einer praktikablen Gesetzgebung zur Harmonisierung des Rechts der nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben über Lebensmittel in der EU.
Nur wenn es gelingt, die Regelungsziele Verbraucherschutz, Binnenmarkt und Wettbewerb gleichermaßen zu gewährleisten, wird die Verordnung den Ansprüchen gerecht, die die Europäische Union in der Lissabon-Strategie mit der Verpflichtung auf praktikable, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft fördernde gesetzliche Rahmenbedingungen formuliert hat. Die Lebensmittelwirtschaft vertraut darauf, dass der europäische Gesetzgeber sich den selbst formulierten Zielen und Vorgaben verpflichtet fühlt und alle unnötig restriktiven Regelungsansätze, die zudem kein „Mehr“ an Verbraucherschutz bringen, streicht.
Im Detail
Die Lebensmittelwirtschaft wiederholt ihre Kritik am Verordnungsvorschlag der Kommission mit folgenden zentralen Forderungen:
- In Artikel 1 muss sichergestellt werden, dass Marken, die einem eigenen Regelungsregime unterliegen, aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen werden. Die Ansätze von Kommission und Rat zu Übergangsregelungen überzeugen nicht.
- In Artikel 2 (und in allen weiteren Bezug nehmenden Vorschriften) muss in der Definition der „nährwertbezogenen Angabe“ der vom Rat eingefügte Begriff der „positiven“ Nährwerteigenschaften wieder gestrichen werden. Er ist derart unbestimmt, dass das Regelungsziel der Rechtsharmonisierung aufgrund sich bereits heute abzeichnender unterschiedlicher Bewertungen in den Mitgliedstaaten konkret gefährdet ist.
- Artikel 4 und damit die sog. Nährwertprofile und weitere generelle Kommunikationsverbote hinsichtlich bestimmter Lebensmittel müssen ersatzlos gestrichen werden. Für derartige Verbote gibt es keine wissenschaftliche Begründung oder Rechtfertigung. Außerdem wurde nicht dargelegt, dass der Verordnungsvorschlag, der im Übrigen ausgesprochen restriktiv ausgefallen ist, ohne diese Vorschrift den Schutz der Verbraucher vor Irreführung und Täuschung nicht sicherstellt.
- In den Artikeln 10 ff. muss das bürokratische und innovationsfeindliche Zulassungsverfahren durch ein Anzeigeverfahren ersetzt werden. Erneut gilt, dass durch weniger restriktive Vorschriften der Verbraucherschutz gewährleistet wird. Außerdem kann es auch im Anzeigeverfahren nicht um die Festlegung bestimmter Wortlaute gehen, sondern nur um die Beschreibung von Wirkungszusammenhängen, die allenfalls noch in Form von Beispielformulierungen näher beschrieben werden können. Darüber hinaus liegt es bei den Unternehmen, über Art und Weise der Kommunikation mit den Verbrauchern zu entscheiden.
- Artikel 11 und die dortigen generellen Verbote bestimmter Angaben müssen ebenfalls gestrichen werden. Die Kommission ist auch hier die Begründung für die Verbote zutreffender und wissenschaftlich begründeter Angaben schuldig geblieben. Die Verordnung gewährleistet den Schutz der Verbraucher vor Irreführung und Täuschung ohne diese Verbote; die bloße Verschiebung einzelner Verbotstatbestände in andere Vorschriften, wie vom Rat vorgeschlagen, ist nicht akzeptabel.
Zusammenfassend soll unser generelles Petitum für eine Regelung mit „Augenmaß“ wie folgt wiederholt werden: Es nicht Aufgabe des Gesetzgebers, Lebensmittel in „gut“ und „schlecht“ einzuteilen und Verbraucher und Unternehmen durch die Wortlautkontrolle nährwert- und gesundheitsbezogener Angaben zu bevormunden. Ein Zuviel an Bürokratie ist innovationsfeindlich und entwicklungshemmend. Deshalb ist die Hoffnung der Lebensmittelwirtschaft, dass das Votum des Europäischen Parlaments Signalwirkung für die weiteren Beratungen hat. Die Bundesregierung hat die Kritik der Lebensmittelwirtschaft schon immer weitgehend geteilt, nun geht es in der zweiten Lesung darum, die notwendigen Mehrheiten zu gewinnen.
Der Umweltausschuss hat sich sehr deutlich für Kompromisse und gegen Maximalforderungen entschieden und erwartet nun, dass die Mitgliedstaaten Gleiches tun. Er ist damit dem Votum der Ernährungswirtschaft gefolgt, die seit der Verabschiedung des Gemeinsamen Standpunktes im Dezember 2005 mit konkreten Vorschlägen für Kompromisse geworben hat. So entspricht das Votum des Umweltausschusses in weiten Teilen den innerhalb des europäischen Industrieverbandes (CIAA) vereinbarten Kompromisspositionen.
Der BLL versteht die Abstimmung im Umweltausschuss im März 2006 als Kompromisssignal gegenüber dem Rat, verbunden jedoch mit der unmissverständlichen Aufforderung an die Mitgliedstaaten, sich ebenso zu bewegen. Bis zuletzt ist im Ausschuss erwogen worden, die weitergehenden Positionen aus der ersten Lesung zu bestätigen und erneut etwa die ersatzlose Streichung des Artikels 4 und damit der „Nährwertprofile“ zu fordern. Die notwendige Unterstützung wäre hierfür zu erreichen gewesen. Man hat sich aber für einen versöhnlichen Schritt entschieden und Vorschläge zur Relativierung des Nährwertprofilansatzes und zur Entbürokratisierung der Verfahren gemacht, von denen man erwartet, dass sie von den Mitgliedstaaten ebenfalls unterstützt werden können.
Der BLL unterstützt diesen Ansatz des Umweltausschusses und bemüht sich gleichzeitig um weitere Nachbesserungen, so bezüglich des Regelungsumfanges, der nach dem Votum des Ausschusses auf „positive“ (beneficial) Aussagen beschränkt bleiben soll; dies würde den Mitgliedstaaten die Regelungskompetenz zu „negativen“ nährwertbezogenen Angaben („gelbe und rote Ampel“) erhalten, was strikt abzulehnen ist, denn diese dienen weder sachgerechter Verbraucherinformation noch dem Ziel der Rechtsharmionisierung. Hier bedarf es noch einer Nachbesserung.