Position/Stellungnahme

Erklärung des Rechtsausschusses des BLL zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation

- Am 20.07.2011 hat das Bundeskabinett den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation (VIG-E) verabschiedet. Dieser Entwurf beansprucht, das Recht der Verbraucherinformation im Lebensmittelbereich zu „optimieren“ und „bürgerfreundlicher“ zu machen; einige Zielvorgaben der geplanten Novelle wurden im sog. Aktionsplan, unter dem Eindruck des Dioxingeschehens, ausformuliert.

Der Rechtsausschuss des BLL hält es für geboten, den vorliegenden Entwurf auch aus juristischer Perspektive zu bewerten. Nach Auffassung des Rechtsausschusses sind gegen einige der beabsichtigten Änderungen rechtsgrundsätzliche Einwände zu erheben. Der Rechtsausschuss schließt sich im Hinblick auf den Vorentwurf der rechtlichen Bewertung von Becker, ZLR 2011, S. 391 ff., an und betont, dass auch der derzeit beratene Entwurf in bedenklicher Weise die garantierten Rechte des von einer Informationseröffnung Betroffenen verkürzt und im Übrigen mit höher- und vorrangigem Unions- und Verfassungsrecht kollidiert.

Im Hinblick auf das anstehende parlamentarische Verfahren gibt der Rechtsausschuss insbesondere zu bedenken:

  1. Staatliche Verbraucherinformation ist nicht nur ein hoheitlicher Eingriff in gegebene Marktstrukturen, sondern insbesondere auch ein weitreichender Eingriff in die auf europäischer und nationaler Ebene garantierten Grundrechte derjenigen Personen und Unter nehmen, über die Daten und Informationen an Dritte weitergegeben oder deren Daten gar weltweit (und unlöschbar-dauerhaft) im Internet veröffentlicht werden.
  2. Jede nationale Bestrebung zur Regelung der Verbraucherinformation hat vorrangige europäische Normvorgaben zu beachten. Insoweit bestehen beispielsweise begründete Bedenken gegen die in § 6 Absatz 1 Satz 3 VIG-E vorgesehene antragslose Veröffentlichung von Informationen im Internet. Denn in Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sind für den Lebensmittelbereich die Befugnisse nationaler Behörden zur Information der Öffentlichkeit unter Namensnennung abschließend geregelt und damit gleichzeitig beschränkt.
  3. Die Preisgabe von Informationen nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) ist, wie bereits betont, ein der Rechtfertigung bedürftiger Grundrechtseingriff. Da es in diesem Zusammenhang nicht um Fälle der Gefahrenabwehr geht (Gefahrenabwehr durch Information bildet den Regelungsgegenstand des spezielleren § 40 LFGB), bleibt zu beachten: Auf der Ebene des Grundgesetzes steht den Grundrechten der Daten- und Informationsinhaber kein verfassungsrechtlich verbürgtes Informationsrecht von Verbrauchern oder eine objektive verfassungsrechtliche Informationspflicht des Staates gegenüber. Vielmehr genießen die Grundrechte der Daten- und Informationsinhaber verfassungsrechtlichen Vorrang.

Vor diesem Hintergrund

  1. ist die geplante Ausweitung des Anwendungsbereichs in § 1 VIG-E auf den „Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor gesundheitsschädlichen oder sonst unsicheren Erzeugnissen […] sowie vor der Täuschung beim Verkehr mit Erzeugnissen“ als sehr bedenklich zu bewerten. Durch diese systemwidrige „Anreicherung“ des Gesetzeszwecks auf Aspekte der Gefahrenabwehr droht die vorrangige grundgesetzliche Wertung in der praktischen Gesetzesanwendung unterlaufen zu werden.
  2. begegnet weiterhin der weitgefasste Auslösetatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 1 VIG-E erheblichen Bedenken. Wegen der u. U. gravierenden und nicht mehr rückholbaren Folgen einer Informationseröffnung z. B. durch mediale Verbreitung muss einer Verbraucherinformation eine fachbehördliche, juristisch-qualifizierte Bewertung vorausgehen (s. a. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.09.2010, Az. 10 S 2/10).
  3. begegnet auch die in § 3 Nr. 1 lit. b VIG-E vorgesehene generalklauselartige Formulierung „oder das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt“ durchgreifenden Bedenken. Rechtssystematisch stimmig sieht z. B. das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) im Hinblick auf Verfahren, deren Durchführung nicht zuletzt auch im öffentlichen Interesse liegt, einen grundsätzlichen Nachrang des Informationsinteresses gegenüber beispielsweise Ordnungswidrigkeitenoder Strafverfahren vor (s. § 3 IFG). Diese Übereinstimmung mit den Regeln der Strafprozessordnung (StPO), die nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen eine Information von Nicht-Verfahrensbeteiligten zulassen (s. § 475 StPO), ist nicht zuletzt den verbindlichen Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (s. Art. 6 Abs. 2 EMRK) geschuldet.
  4. ist insbesondere auch die angestrebte Einschränkung des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nach Maßgabe von § 3 S. 3-5 VIG-E als rechtsbedenklich anzusehen. Dies gilt umso mehr, als die insoweit angestrebten Änderungen einen pauschalen Vorrang der Verbraucherinformation ohne Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls vorsehen. Angesichts der weitreichenden Folgen, die eine Auskunftserteilung oder Informationsveröffentlichung insbesondere im Bereich der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse für den von der Informationseröffnung Betroffenen haben kann, ist dies rechtlich nicht zu vertreten.
  5. ist schließlich auch die in § 6 Abs. 3 VIG-E vorgesehene gesetzliche Freistellung der Behörden von der Pflicht, die sachliche Richtigkeit der veröffentlichten Informationen zu überprüfen, als mit höherrangigem Recht unvereinbar anzusehen. Die Regelung steht nicht im Einklang mit der vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobenen besonderen Bedeutung der sachlichen Richtigkeit veröffentlichter Informationen für die Rechtmäßigkeit behördlicher Informationstätigkeit (s. BVerfGE 105, 252 (272)). Hiervon darf nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in besonderen Situationen und mit einem „Bemühen um die nach den Umständen erreichbare Verlässlichkeit“ (a.a.O.) abgewichen werden – diese Vorgaben missachtet die vorgesehene Regelung.
  1. Da es sich bei der behördlichen Informationseröffnung um einen Eingriff in die Grundrechte des Dateninhabers handelt, ist jede Verkürzung des Grundrechtsschutzes durch Organisation und Verfahren besondersrechtskritisch. Der Gesetzgeber hat vielmehr dafür Sorge zu tragen, dass die berechtigten Interessen der Grundrechtsberechtigten durch geeignete Organisations- und Verfahrensgestaltung gewahrt bleiben.

    Daher begegnet die vorgesehene Absenkung des Rechtsschutzniveaus unterhalb des im Verwaltungsverfahrensgesetz vorgesehenen Standards durch die Möglichkeit, von der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 lit. a und b VIG-E abzusehen, durchgreifenden Bedenken. Zudem widerspricht § 5 Abs. 4 S. 1 VIG-E dem Regelungsmodell des § 80 VwGO, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben – keiner der rechtlich anerkennenswerten Gründe zur Durchbrechung dieses Grundsatzes ist im Anwendungsbereich des VIG gegeben. Insoweit bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der gebotenen Gewährleis tung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie hinsichtlich des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG).


  2. Vergleichbare Einwände sind gegen die im Zusammenhang des Änderungsvorhabens gleichzeitig vorgesehene Beschränkung der Abwägungsklausel des § 40 Abs. 1 S. 3 LFGB und die geplante Einführung von § 40 Abs. 1 a LFGB zu erheben.

Im Widerspruch zu verbindlichen europäischen Regelungsvorgaben soll eine behördliche Information entsprechend § 40 Abs. 1 a LFGB auch im Fall des Verstoßes gegen Täuschungsvorschriften im Lebensmittelbereich möglich sein. Das widerspricht dem Normprogramm von Artikel 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, der eine Gefahrenabwehr durch Information nur in Fällen eines Risikos für die Gesundheit, nicht aber in Fällen des Verstoßes gegen Täuschungsvorschriften vorsieht.

Beide Änderungsvorhaben sind zudem mit fundamentalen rechtsstaatlichen Prinzipien – insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Unschuldsvermutung – nicht zu vereinbaren. Der vom Gesetzgeber für § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 LFGB vorgesehene prinzipielle Ausfall behördlichen Ermessens in jedem Einzelfall stellt einen unangemessenen Eingriff in die Rechte des Betroffenen dar. Gleiches gilt für den geplanten § 40 Abs. 1 lit. a LFGB, der eine pauschale, nicht an Risiken oder Gefahren orientierte Veröffentlichungsverpflichtung ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bzw. ohne Rücksicht auf die garantierten Rechte des von einem Sanktionsverfahren Betroffenen vorsieht.

Der Rechtsausschuss des BLL hält es für erforderlich, dass das Recht der Verbraucherinformation einen rechtssicheren und konsistenten, rechtssystematisch insbesondere mit § 40 LFGB und Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 harmonierenden, Regelungsrahmen erhält. Daher hegt der Rechtsausschuss die Erwartung, dass den dargestellten fundamentalen rechtlichen Mängeln des Entwurfs im weiteren Verlauf des parlamentarischen Verfahrens Rechnung
getragen wird.

Berlin, im Oktober 2011

Die Erklärung finden Sie hier als PDF-Dokument zum Download:
Erklärung des Rechtsausschusses des BLL zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation (Oktober 2011)