Stellungnahme zum Kontrollbarometer (sog. „Hygiene-Ampel“)
- Der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V. (BLL) nimmt zu den Plänen eines bundeseinheitlichen Modells zur Transparentmachung von Ergebnissen der amtlichen Lebensmittelkontrollen Stellung.
Fehlende Notwendigkeit eines bundeseinheitlichen Modells zur Transparentmachung der Ergebnisse amtlicher Betriebskontrollen
Der BLL ist der Auffassung, dass das geltende Recht den Überwachungsbehörden die notwendigen Instrumente bietet, um auf (Hygiene-) Verstöße im Bereich des Lebensmittelrechts in einzelfallgerechter und angemessener Form zu reagieren – von der Möglichkeit effektiver persönlicher Sanktionen durch Geldbußen oder Strafen bis hin zu einer Betriebsschließung. Zu diesem Instrumentarium gehören weder Veröffentlichungen nach Art der Pankower Negativliste, die eindeutig „Pranger“-Charakter haben, noch (bewertende) Veröffentlichungen von amtlichen Kontrollergebnissen. Die Lebensmittelwirtschaft hält die in letzter Zeit zu beobachtende Tendenz der Verschiebung des behördlichen Instrumentariums weg von den ordnungspolitischen Maßnahmen (konsequenter Vollzug des geltenden Rechts) hin zu Maßnahmen einer Verhaltensänderung durch Veröffentlichung im Internet für nicht zielführend und rechtlich bedenklich.
In rechtlicher Hinsicht stehen die Behörden im Hinblick auf das Verhältnis Verbraucherinformation / ordnungsrechtliche Maßnahmen vor einem grundsätzlichen Dilemma: Eine Verbraucherinformation im Internet anstelle von ordnungsrechtlichen Maßnahmen ist grundsätzlich unzulässig, weil die Behörde zur wirksamen Gefahrenabwehr, d.h. zur Abstellung der festgestellten Mängel, verpflichtet ist: Es besteht eine Pflicht zum effektiven Schutz sämtlicher Verbraucher, nicht nur diejenigen, die ins Internet schauen; im Übrigen darf die behördliche Gefahrenabwehr nach allgemeinen Grundsätzen nicht von einer Entscheidung des Verbrauchers abhängen.
Verbraucherinformation im Internet neben der ordnungsrechtlichen Maßnahme ist im Hinblick auf Gefahrenabwehr in der Regel nicht notwendig sowie unangemessen und damit unverhältnismäßig, denn die Belastungswirkung durch Veröffentlichung wirkt auch nach Mängelbeseitigung und abgeschlossener Sanktionierung – ggf. sogar „lebenslang“ - fort. So führt das „eiserne Gedächtnis“ des Internets dazu, dass die in anderen Bereichen, z. B. dem Gewerbezentralregister, vorgesehenen Löschungsfristen de facto unterlaufen werden! Vor diesem Hintergrund ist besonders an das zu erinnern, was der VGH Baden-Württemberg im Herbst 2010 mit Nachdruck ausgeführt hat: „ Verwaltungshandeln durch „Information“ ist irreversibel; daran ändern bei Fehlinformationen auch –spätere- Gegendarstellungen nichts, da die faktischen Wirkungen nicht mehr eingefangen werden können.“
Fehlende Umsetzbarkeit eines fairen, flächendeckenden Modells wegen der dazu notwendigen Personal- und Finanzausstattung der Kontrollbehörden in den Ländern
Die amtliche Lebensmittelüberwachung kontrolliert die Betriebe zur Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit heute nach einem risikoorientierten Ansatz, d.h. je nach Betriebsorganisation und den Ergebnissen früherer Kontrollen werden unterschiedliche Kontrollabstände festgelegt. Manche Betriebe werden daher häufiger kontrolliert als andere. An diesem Ansatz sind Organisation und Ausstattung der Lebensmittelüberwachung ausgerichtet. Mit der Veröffentlichung von amtlichen Kontrollergebnissen, insbesondere unter Einbeziehung wertender Elemente wie den Ampelfarben beim Kontrollbarometer, kommt ein entscheidender, neuer Aspekt hinzu. So hat eine bewertende Veröffentlichung von amtlichen Kontrollergebnissen im Rahmen der Lebensmittelüberwachung durch die damit geschaffene Möglichkeit, Unternehmensvergleiche vorzunehmen, zwangsläufig Wettbewerbsauswirkungen für das betroffene Unternehmen. Die Wettbewerbsstellung des betroffenen Unternehmens kann hierdurch in positiver oder negativer Weise tangiert sein; dies ist ja gerade ein politisch gewünschter mittelbarer Effekt solcher Maßnahmen. Negativbewertungen kommt eine „prangerähnliche“ Wirkung mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen zu.
Schon aus diesem Grunde muss ein von der Politik gewünschtes Modell zur Veröffentlichung der Ergebnisse amtlicher Betriebskontrollen bestimmte Vorausset-zungen erfüllen. Um halbwegs aktuelle, vergleichbare und aussagekräftige, d.h. repräsentative Überwachungsergebnisse für den Verbraucher zu gewährleisten, sind kontinuierliche, zeitlich eng getaktete Kontrollen der Vergleichsunternehmen erforderlich. Eine solche Gleichbehandlung sämtlicher Unternehmen muss schon aus den beschriebenen Wettbewerbsgründen gewährleistet sein. Die gebotene Gleichbehandlung der Unternehmen ist aber auch Kehrseite und Bedingung der Vergleichbarkeit aus Verbrauchersicht! Eine für den Verbraucher aussagekräftige Vergleichbarkeit wird nämlich nur dann erreicht, wenn seiner Entscheidung halbwegs vergleichbare aktuelle und repräsentative Ergebnisse zugrunde liegen. Dies ist aber gerade nicht gegeben, wenn bestimmte Betriebe in kurzer Folge kontrolliert werden, während andere Betriebe ein drei Jahre altes Kontrollbarometer an der Türe hängen haben. Die skizzierten Wettbewerbsauswirkungen bedingen als Mindestforderung selbst bei weniger gravierenden Mängeln zwingend die Ermöglichung einer zeitnahen Nachkontrolle zur Rehabilitierung. Ansonsten dauert die (zusätzliche) Belastungswirkung bis zur nächsten Regelkontrolle unter Umständen erst in mehreren Monaten und Jahren fort.
Es ist daher festzuhalten: Die Einführung eines bundesweiten Systems zur Veröffentlichung von Ergebnissen der Lebensmittelüberwachung setzt zwingend eine deutliche Aufstockung der personellen wie sachlichen Ressourcen im Bereich der Lebensmittelüberwachung voraus. Aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft ist es ein Trugschluss zu meinen, ein den zwingenden Rahmenbedingungen entsprechendes System der Veröffentlichung von Überwachungsergebnissen weitgehend kostenneutral und ohne zusätzlichen Aufwand für die Überwachung einführen zu können. Andernfalls ginge das System einseitig zulasten der Betroffenen – das wäre und ist nicht akzeptabel.
Beurteilung des vorgeschlagenen VSMK-Modells (Kontrollbarometer; sog. „Hygiene-Ampel“)
Das von der VSMK bisher vorgelegte Modell orientiert sich vornehmlich an den im VSMK-Beschluss vom September 2010 vorgegebenen Kriterien der Kostenneutralität und eines zu verhindernden zusätzlichen Aufwandes für die Überwachung. Dies führt zu einer Ungleichbehandlung der betroffenen Unternehmen und damit zu unangemessenen Wettbewerbsbenachteiligungen einzelner Unternehmen.
Bei einer Einführung des von der VSMK angedachten Modells müssten deutschlandweit kontinuierliche und zeitlich eng getaktete Kontrollen durch die amtliche Lebensmittelüberwachung für sämtliche betroffene Lebensmittelbetriebe sichergestellt werden, um zumindest halbwegs aktuelle, vergleichbare und repräsentative Ergebnisse zu liefern. Eine Ausrichtung der Kontrolldichte an der bestehenden Risikoeinstufung ist aufgrund der komplett anders ausgerichteten Zielrichtung sowie der beschriebenen Konsequenzen des Modells aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft nicht möglich.
Bereits aus allgemeinen Erwägungen, insbesondere aus Gründen der Lebensmittelsicherheit, hat im Fall der Feststellung gravierender Mängel zumindest eine zeitnahe Nachkontrolle zu erfolgen, um deren Abstellung zu überprüfen. Jede Nachkontrolle dient allerdings auch dem Interesse des Betroffenen, da sich das erste Ergebnis als bloße „Momentaufnahme“ darstellen kann. Mit einer Veröffentlichung auch nur geringfügiger Mängel sind für den Betroffenen eine rechtliche Beschwer und ggf. erhebliche tatsächliche, insbesondere wirtschaftliche Nachteile und die naheliegende Gefahr einer öffentlichen Vorverurteilung verbunden.
Insoweit muss – zum Ausgleich und zugunsten des Betroffenen – die Möglichkeit einer zeitnahen Nachkontrolle und damit der weitestgehenden Rehabilitation vorgesehen werden. In Konsequenz dessen muss dem Ergebnis dieser Nachkontrolle schon mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in angemessener Weise auch im Rahmen der Veröffentlichung und der öffentlichen Darstellung der Kontrollergebnisse Rechnung getragen werden. Schließlich ist das Prinzip der verlaufenden Ampelfarben als wertendes Beurteilungssymbol der Behörden ungeeignet, da es dem Verbraucher nicht erklärbar sein dürfte, dass ein „dunkelgelb“ oder „rot“ beurteilter Betrieb noch geöffnet, d.h. im Markt tätig ist.
Die Stellungnahme finden Sie hier als PDF-Dokument zum Download:
Stellungnahme zu den Plänen eines bundeseinheitlichen Modells zur Transparentmachung von Ergebnissen der amtlichen Lebensmittelkontrollen (Kontrollbarometer; sog. „Hygiene-Ampel“) (Augsut 2012)