Niedersächsischer Entwurf einer Verordnung über Gebühren für den Verbraucherschutz und die Veterinärverwaltung und zur Änderung der Allgemeinen Gebührenordnung
- Stellungnahme zum niedersächsischen Entwurf einer Verordnung über Gebühren für den Verbraucherschutz und die Veterinärverwaltung und zur Änderung der Allgemeinen Gebührenordnung.
1. Zusammenfassende Bewertung
Nach intensiver Erörterung im BLL, die auch und gerade niedersächsische Unternehmen und Verbände der Lebensmittelwirtschaft eingeschlossen hat, lehnt die gesamte Lebensmittelkette, also Futtermittelwirtschaft, Landwirtschaft, Lebensmittelhandwerk, Ernährungsindustrie, Großhandel, Lebensmitteleinzelhandel und Gastronomie, den niedersächsischen Verordnungsentwurf sowohl aus rechtlichen wie aus politischen Gründen ab. Nach Auffassung der Lebensmittelwirtschaft kündigt der Verordnungsentwurf nicht nur eine jahrzehntelange gemeinsame ordnungspolitische Einordnung einer Tätigkeit der amtlichen Lebensmittelüberwachung auf, er basiert zudem auf unrichtigen Ausgangserwägungen, verstößt gegen den rechtsstaatlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, führt zu einer erheblichen finanziellen Zusatzbelastung der niedersächsischen Lebensmittelunternehmen mit unmittelbarer Auswirkung auf ihre Stellung im nationalen und EU-weiten Wettbewerb und wird zwangsläufig eine Umlegung der entstehenden Zusatzbelastung auf die Verbraucherpreise zur Folge haben. Mit dem Verordnungsentwurf wird der bestehende ordnungspolitische Rahmen durch die Aufgabe der nicht anlassbezogenen Regelkontrollen als eines lange praktizierten Bereiches staatlicher Daseinsvorsorge und des Verursacherprinzips bezüglich der Kosten amtlicher Kontrollen aus dem alleinigen Grund der Entlastung öffentlicher Haushalte zulasten der rechtskonform arbeitenden Betriebe in Niedersachsen aufgekündigt. Mit der durch den Verordnungsentwurf bewirkten vollumfänglichen Finanzierung der amtlichen Lebensmittelüberwachung über Gebühren wird dieser überdies jeglicher Druck bzw. jeglicher Anreiz für eine effiziente Aufgabenerfüllung genommen, da sämtliche entstehende Kontrollkosten ohnehin von Seiten der Lebensmittelwirtschaft zu finanzieren sind. Schließlich liegt nach einer ersten Einschätzung auch eine Vielzahl der angelegten Gebührensätze, insbesondere im Bereich der Analytikkosten deutlich oberhalb der Vergleichswerte bei privat veranlassten Analysen.
Der vorgelegte Verordnungsentwurf ist demnach zum einen nicht zu rechtfertigen, zum anderen wird ein niedersächsischer Alleingang im Vorgriff auf das Ergebnis der andauernden Diskussionen um eine Revision der EU-Kontrollverordnung Nr. 882/2004 zu einer massiven Wettbewerbsbeeinträchtigung der niedersächsischen Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft sowohl im bundesweiten als auch im EU-weiten und internationalen Wettbewerb führen.
2. Begründung im Einzelnen
In der Begründung des Verordnungsentwurfs beruft sich das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (ML) auf eine bestehende Ermächtigung zur vollständigen Gebührenfinanzierung in Art. 26 ff. Verordnung (EG) Nr. 882/2004. Unter Bezugnahme auf das Gutachten des Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung wird dies auch damit begründet, dass „Herstellung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln ein potenziell gefährliches Tun darstellen, das Gebühren auslösen kann“. Ferner wird auf Seite 2 der Begründung ausgeführt, dass „die Unternehmen durch den Betrieb ihres Unternehmens und die Erzeugung von Futtermitteln und Lebensmitteln ein potentielles Risiko für den Verbraucher und dessen Gesundheit setzen. Dieses Risiko muss von staatlichen Stellen im Rahmen von amtlichen Kontrollen überwacht werden. Insofern sind die Unternehmen grundsätzlich als Veranlasser staatlicher Überwachungsmaßnahmen anzusehen“.
2.1 Unrichtige Ausgangserwägungen
Aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft rechtfertigen diese Erwägungen eine vollständige Finanzierung der amtlichen Überwachungstätigkeit über Pflichtgebühren nicht. So tragen bereits der lebensmittelrechtliche Rechtsrahmen (insbesondere das Verbot der Vermarktung unsicherer Lebensmittel) wie auch das bewährte Überwachungssystem mit dem dreistufigen Überwachungsaufbau und das Zulassungs- und Registrierungssystem diesen Aspekten vollumfänglich Rechnung. Mit der gleichen Begründung könnte ansonsten auch die Übertragung weiterer Bereiche der staatlichen Daseinsvorsorge, die der Gewährleistung der Sicherheit der Bürger/Verbraucher dienen, in eine Gebührenpflicht gerechtfertigt werden, wie Geschwindigkeitskontrollen im Straßenverkehr unabhängig von einem Fehlverhalten des Fahrers allein aufgrund der Betriebsgefahr des PKW. Eine Steuerfinanzierung von Aufgaben staatlicher Daseinsvorsorge würde damit grundsätzlich in Frage gestellt.
Betriebliche Eigenkontrollen
Die Lebensmittelwirtschaft trägt nach den europaweit geltenden lebensmittelrechtlichen Vorgaben die Primärverantwortung für die Gewährleistung der Rechtskonformität und der Sicherheit ihrer Produkte. Der nur den Lebensmittelunternehmern unmittelbar mögliche Zugriff auf ihre Produktions- und Vermarktungsprozesse und ihre wirksamen, systematischen Eigenkontrollen bilden – auch nach der Bewertung des Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung – das Fundament für die Sicherheit, die gesundheitliche Unbedenklichkeit und die flächendeckende Vorsorge im Verbraucherschutz.
Durch eine Vielzahl komplexer qualitätssichernder Maßnahmen setzt die Lebensmittelwirtschaft ihre Eigenverantwortung in der täglichen Unternehmenspraxis um. Dabei werden die bestehenden Systeme sowohl aufgrund stetig wachsender rechtlicher Anforderungen, der Übernahme internationaler Standards sowie unternehmenseigener Qualitätsanforderungen ständig weiterentwickelt. „Eigenkontrollen“ umfassen sowohl Aufgaben der Festlegung und Steuerung spezifischer Prozesse als auch die Aufgaben der Beprobung und Untersuchung. Hierbei geht der Umfang der chemisch-analytischen oder mikrobiologischen Untersuchungen von Lebensmitteln und Rohstoffen auf unterschiedlichste Parameter durch die oder im Auftrag der Lebensmittelunternehmer im Rahmen der Eigenkontrollen weit über die Anzahl der behördlichen Untersuchungen hinaus. Dabei ist festzuhalten, dass die Funktionsfähigkeit der betrieblichen Eigenkontrollen im originären, eigenen Interesse der Unternehmen liegt, da Defizite in diesem Bereich oder nichtkonforme Produkte neben den straf- bzw. bußgeldrechtlichen Sanktionen erhebliche weitere materielle und ideelle Schadensfolgen für die Unternehmen nach sich ziehen.
Privatrechtliche Audits als zusätzliche Kontrollebene
Ergänzend zu den betrieblichen Eigenkontrollen unterstellen sich die Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft zunehmend einer weiteren zweiten Kontrollstufe durch externe, unabhängige Auditoren auf der Grundlage privatrechtlicher Standards der Lebensmittelkette. Auch deren Anforderungskataloge, die teilweise ohnehin schon über den gesetzlich geforderten Vorgaben liegen, werden kontinuierlich fortgeschrieben und an sich ändernde Rahmenbedingungen bzw. Entwicklungen angepasst. Damit wird im Ergebnis durch einzelne privatrechtliche Standards, also eigene Initiativen der Wirtschaft, eine zusätzliche Kontrollebene eingeführt, die neben der Kontrolle von spezifizierten Qualitätsanforderungen auch der Gewährleistung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit der Lebensmittel zugutekommt.
Amtliche Lebensmittelüberwachung als „Kontrolle der Kontrolle“
Erst auf der dritten Stufe erfolgt die stichprobenweise Überprüfung der Maßnahmen der Eigenkontrolle und die Bewertung ihrer Wirksamkeit durch die staatliche Ebene als ergänzende „Kontrolle der Kontrolle“ durch die amtliche Lebensmittelüberwachung. Die Herausforderungen im Rahmen des europäischen Binnenmarktes sowie des zunehmenden weltweiten Handels mit Lebensmitteln sind vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung und des Nachfrageverhaltens der Verbraucher in den letzten Jahren sogar noch deutlich gestiegen. Aus diesem Grunde sind eine hoch qualifizierte, effizient arbeitende und gut ausgestattete amtliche Lebensmittelüberwachung und ein bundes- sowie EU-weit einheitlicher Vollzug des Lebensmittelrechts für die Lebensmittelwirtschaft unerlässlich. Die hierzu erforderlichen Mittel können und dürfen aber nicht durch eine Ausweitung der Pflichtgebühren auf nicht anlassbezogene Regelkontrollen auf die Lebensmittelwirtschaft verlagert werden.
Auch die bewusste Unterscheidung zwischen zulassungspflichtigen und lediglich registrierten Betrieben sowie die bisherige Differenzierung in der Gebührenlast sind im Hinblick auf die unterschiedlichen Überwachungsleistungen begründet. So lassen die Regelungen der Art. 26 ff. der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 nach ihrer systematischen Konstruktion (detaillierte Regelungen zu den EU-weit vorgegebenen
Pflichtgebühren –einschließlich deren Höhe–, keinerlei harmonisierte Regelungen für nicht anlassbezogene Regelkontrollen) den Schluss zu, dass letzterer Bereich aus Sicht des EU-Gesetzgebers aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden soll.
2.2 Daseinsvorsorge des Staates
Im Gegensatz zu bereits heute gebührenpflichtigen Leistungen der Lebensmittelüberwachung, wie Betriebszulassungen, amtliche Bescheinigungen oder Veterinärdienstleistungen wie z.B. Fleischuntersuchungen, handelt es sich bei der Regelüberwachung um eine originäre Aufgabe des Staates im Rahmen der Daseinsvorsorge, nicht um eine Dienstleistung der Überwachung für die Lebensmittelwirtschaft. Die Überprüfung Gewerbetreibender und die Marktüberwachung im Hinblick auf die Einhaltung allgemeiner und spezifischer Vorschriften des Lebensmittelrechts zur Gewährleistung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und des Täuschungsschutzes liegen als quasi ordnungsbehördliche Tätigkeit im öffentlichen Interesse und in der Verantwortung des Staates, weshalb die Ausführung und Finanzierung durch die öffentliche Hand gerechtfertigt sind.
Das öffentliche Interesse des Staates an der Gewährleistung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus kommt nicht zuletzt im System der Planproben und Monitoringprogramme zum Ausdruck. Regelmäßig werden im Lebensmittelverkehr Proben genommen und analysiert oder mit einem bestimmten Ziel Schwerpunktuntersuchungen durchgeführt, um übergeordnete, präventive Kontroll- und Überwachungspläne zu erfüllen (z. B. bundesweites Überwachungsprogramm (BÜP) mit seinen wechselnden Schwerpunktsetzungen). Die Erfüllung derartiger Aufgaben und Kontrolltätigkeiten kann nicht qua Pflichtgebühr ohne Anlass den Lebensmittelunternehmen zusätzlich aufgelastet werden. Solange Kontrollmaßnahmen nicht durch Rechtsverstöße oder anderweitig durch den Lebensmittelunternehmer selbst veranlasst sind, muss das Prinzip der staatlichen Daseinsvorsorge weiter gelten.
Bei der Durchführung der amtlichen Lebensmittelüberwachung haben sich die Prinzipien der Risiko- und Verursacherorientierung bestens bewährt. Die reguläre – nicht anlassbezogene – Lebensmittelüberwachung muss als quasi ordnungsbehördliche Tätigkeit daher auch weiter eine staatliche Aufgabe bleiben, die durch Steuergelder finanziert wird. Letztlich tragen alle Lebensmittelunternehmen als Gewerbebetriebe an ihren Standorten mit den entrichteten Gewerbesteuern und sonstigen Abgaben bereits selbst zum Steueraufkommen des Staates bei. Insoweit besteht keine neue oder geänderte politische oder rechtliche Ausgangslage,
die eine Änderung der Finanzierungsart der amtlichen Kontrollen rechtfertigen würde.
2.3 Effizienzziel der Kontrolltätigkeit wird konterkariert
Eine ausschließliche Finanzierung über kostendeckende Gebühren wird sich darüber hinaus kontraproduktiv auf die Effizienz der amtlichen Überwachungstätigkeit auswirken und auf Behördenseite weder zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit noch zur Verbesserung der Koordination von Kontrollmaßnahmen Anreiz geben. So läuft ein solcher Systemansatz dem Regelungsziel einer Stärkung der Effizienz der Überwachung diametral zuwider, da im Falle einer Umlegung sämtlicher Kontrollkosten auf die Unternehmen den Überwachungsbehörden jeglicher Anreiz auf Effizienzsteigerung genommen wird. So wird auch das immer wieder geäußerte Ziel, eine Reduzierung der bundesweiten Mehrfachbeprobung der gleichen Produkte und eine bessere Abstimmung der Bundesländer im Hinblick auf die Probenahme zu erreichen, konterkariert, wenn jede Probenahme bzw. Probenuntersuchung gebührenpflichtig wird und damit zur Auslastung und Finanzierung der Untersuchungsämter beiträgt. Im Gegenteil wird hierdurch der (falsche) Anreiz gesetzt, durch vermehrte Analysetätigkeit den bestehenden „Gerätepark“ möglichst optimal auszulasten, d.h. es wird der Refinanzierungsansatz auch in dieser Hinsicht gefördert.
2.4 Vorschub für Privatisierungsdiskussionen
Die Einführung einer Gebührenpflicht für die Regelüberwachung wird darüber hinaus zwangsläufig frühere Diskussionen beflügeln, inwieweit Aufgaben im Rahmen der amtlichen Kontrollen von Lebensmitteln und Lebensmittelunternehmen nicht auch auf private Stellen übertragen werden können. Solchen Ansätzen war die Lebensmittelwirtschaft nicht zuletzt wegen der aus ihrer Sicht richtigen Einordnung der amtlichen Regelkontrolle als Maßnahme der staatlichen Daseinsvorsorge im Schulterschluss mit Vertretern der amtlichen Überwachung stets entschieden entgegengetreten; bei der Einführung einer Gebührenpflicht für die amtliche Regelkontrolle ergäbe sich allerdings eine völlig neue Ausgangssituation.
Forderungen, dass ein Systemwechsel zur Finanzierung der Regelüberwachung einhergehen muss mit einer weiteren Privatisierung amtlicher Überwachungsleistungen liegen nahe, um den Betrieben die Möglichkeit zu eröffnen, in eigener Entscheidung die Vornahme dieser Dienstleistung möglichst kostengünstig zu vergeben. Dies gilt insbesondere für den Bereich der kostenpflichtigen und kostenintensiven Laboruntersuchungen, für die auch qualifizierte private Laboratorien bereitstehen und denkbar als „beauftragten Stellen“ partizipieren können. In einer solchen Privatisierung der Überwachung lägen überdies weitere Potenziale zur Kosteneinsparung der öffentlichen Haushalte, die scheinbar zunehmend den entscheidenden Maßstab für die Ausgestaltung der Überwachungsstrukturen bilden. Eine weitere Privatisierung von staatlichen Überwachungsleistungen läge daher auch vor dem Hintergrund solcher haushalterischer Erwägungen durchaus nahe.
2.5 Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
Die knappen Ausführungen in der Begründung des Verordnungsentwurfs, nach der das Mittel der vollständigen Gebührenpflicht geeignet, erforderlich und angemessen sei, können nicht überzeugen.
Fehlende Erforderlichkeit durch alternative Finanzierungsmöglichkeiten
So fehlt es bereits an der Erforderlichkeit einer vollständigen Gebührenpflicht. Wie bereits ausgeführt, entspricht es einem langjährigen ordnungspolitischen Konsens, dass Überwachungstätigkeiten - für die die kontrollierten Unternehmen keinen Anlass geboten und die keinen Beanstandungsbefund ergeben haben – im Rahmen der staatlichen Daseinsvorsorge aus allgemeinen Steuermitteln bezahlt werden. Wenn -wie in der Begründung des Verordnungsentwurfs behauptet – mit den vorhandenen Ressourcen die gestiegenen Anforderungen an die Kontrolle und der Zuwachs an Kontrollaufgaben tatsächlich nicht mehr abgedeckt werden können, bieten sich neben einer Gebührenerhebung zulasten der Lebensmittelwirtschaft auch weitere Finanzierungsquellen zur Deckung der Zusatzaufwendungen an. Trotz des Konsolidierungsbedarfs der öffentlichen Haushalte können zusätzliche Mittel zur Gewährleistung von Maßnahmen der staatlichen Daseinsvorsorge beispielsweise auch durch Umschichtungen in den öffentlichen Haushalten bzw. durch Einsparungen in anderen Bereichen als milderes Mittel erzielt werden. Eine zwangsläufige Mehrbelastung der Lebensmittelwirtschaft durch die Einführung von Pflichtgebühren für nicht anlassbezogene Regelkontrollen ist daher nicht erforderlich.
Unangemessenheit wegen bestehender Kostenlasten
Zudem ist eine vollständige Gebührenpflicht auch unangemessen. Die Unternehmen tragen neben der Zahlung von (Gewerbe-) Steuern durch Finanzierung ihrer umfangreichen Eigenkontrollsysteme sowie durch den Aufwand für private Zertifizierungen bzw. Auditierungen bereits enorme Kosten, um die Sicherheit von Lebensmitteln zu gewährleisten. Eine Ausweitung der Gebührenpflicht auf die amtliche Regelkontrolle mit der Folge, dass die kontrollierten Unternehmen auch dann für die Überwachungstätigkeit bezahlen müssen, wenn diese keinen Beanstandungsbefund ergeben hat, ist vor dem Hintergrund des Verursacherprinzips weder sinnvoll noch angemessen. So wäre es neben der zusätzlichen Kostenbelastung für die Unternehmen auch der Akzeptanz der hoheitlichen Durchführung der Lebensmittelüberwachung abträglich, wenn sich der Eindruck verfestigen würde, dass die Tätigkeit der amtlichen Überwachung künftig vornehmlich durch Gebühren zu Lasten derjenigen Betriebe finanziert wird oder werden soll, die sich rechtskonform verhalten. Die Verzerrung der Kostentragungspflicht bei Einführung von Gebühren für die bloße Kontrolltätigkeit findet auch in anderen Lebens- und Wirtschaftsbereichen keine Akzeptanz. Anschaulich und beispielhaft lässt sich dies verdeutlichen, wenn Autofahrer, die im Rahmen einer Verkehrskontrolle überwacht werden trotz rechtmäßigen Verhaltens eine Gebühr allein für die behördliche Tätigkeit des Kontrollierens bezahlen sollten.
Die gebührenpflichtige Regelkontrolle einschließlich der Produktuntersuchungen ist außerdem nur schwer vereinbar mit dem Prinzip der risikoorientierten Vorgehensweise der amtlichen Lebensmittelüberwachung. Betriebe mit risikobehafteten Produkten werden – im Sinne der Gewährleistung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes – auch ohne konkreten Anlass intensiver überwacht. Müssen diese Betriebe für die jeweils anfallenden Kontrollen Pflichtgebühren entrichten, so werden sie allein aufgrund ihrer Struktur und Produktpalette benachteiligt und mehrbelastet.
Ferner wird nicht erkennbar, wie die Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Sorgfalt durch wirksame Ausgestaltung der betrieblichen Eigenkontrollen und die lange andauernde Mängelfreiheit bei Betriebskontrollen im Rahmen der Gebührenerhebung berücksichtigt, gewichtet und gegebenenfalls durch eine Kostenreduzierung honoriert werden soll.
2.6 Umlegung auf Verbraucherpreise
Schließlich wird eine vollständige Gebührenpflicht zwangsläufig eine Erhöhung der Verbraucherpreise für Lebensmittel nach sich ziehen. Aufgrund der lebensmittelrechtlich verankerten Primärverantwortung der Lebensmittel- und Futtermittelunternehmer für die Sicherheit ihrer Produkte können die ohnehin von den Unternehmen finanzierten Leistungen ihrer eigenen Kontrolltätigkeit nicht reduziert werden, um die Mehrkosten für die zusätzlichen Pflichtgebühren aufzufangen. Im wettbewerbsintensiven Lebensmittelmarkt bleibt daher nur die Möglichkeit, die erwarteten erheblichen Pflichtgebühren auf die Verbraucherpreise umzulegen. Während damit auch die Verbraucher mit zusätzlichen Kosten belastet werden, profitiert der Staat von der Einführung einer vollständigen Gebührenpflicht gleich doppelt. Neben den zusätzlichen Einnahmen durch die Pflichtgebühren erhält er im Wege der steigenden Verbraucherpreise zugleich auch Mehreinnahmen durch den Mehrwertsteueranteil der erhöhten Lebensmittelpreise. Benachteiligter des geplanten Paradigmenwechsels bei der Finanzierung der amtlichen Lebensmittelüberwachung ist danach eindeutig der Verbraucher, für den die Grundversorgung mit preiswerten Lebensmitteln auch ein nicht zu unterschätzendes hohes Gut darstellt.
2.7 Wettbewerbsnachteile für Unternehmen in Niedersachsen
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass eine Diskussion über die Frage der Einführung von Regelgebühren für die nicht anlassbezogene Regelkontrolle im Rahmen einer künftigen Revision der EU-Kontrollverordnung Nr. 882/2004 gerade erst begonnen hat und auf europäischer Ebene sicherlich noch längere Zeit andauern wird. Die vorzeitige Einführung einer vollständigen Gebührenpflicht in Niedersachsen würde demgemäß allein die Lebensmittel- und Futtermittelunternehmen in Niedersachsen mit beträchtlichen Zusatzkosten belasten und im Wettbewerb mit Unternehmen aus anderen Bundesländern wie anderen Mitgliedstaaten schädigen.
Schon vor diesem Hintergrund erscheint es kontraproduktiv und wirtschaftlich äußerst schädlich, dass die niedersächsische Landesregierung mit ihrem Alleingang den heimischen Unternehmen der Futter- und Lebensmittelwirtschaft erhebliche Standortnachteile zufügen wird. Aus diesem Grunde sollte vor einer weiteren Kostenbelastung der Lebensmittelunternehmen in Niedersachsen zumindest die Entwicklung auf europäischer Ebene abgewartet werden.
Abschließend ist insgesamt nochmals festzuhalten, dass nach Auffassung der deutschen Lebensmittelwirtschaft durch die neue Finanzierungsstruktur nicht die Möglichkeit gefördert werden darf, amtliche Kontrollaufgaben nach Haushaltsund Gebührenlagen wahrzunehmen. Vor allem dürfen den Unternehmen zu den ohnehin zu finanzierenden Eigenkontrollen keine weiteren Lasten aufgebürdet werden, um für öffentliche Haushalte neue Finanzquellen zu erschließen. Maßnahmen der Verwaltungsvereinfachung und der Kosteneinsparung der öffentlichen Hand dürfen nicht auf dem Rücken der rechtskonform arbeitenden Lebensmittelunternehmen
betrieben werden.
2.8 Pauschalgebühren als rechtliche Sonderproblematik
Nach dem Verordnungsentwurf sollen die Gebühren zum Teil als Pauschale festgesetzt werden. Für die Kalkulation der Pauschalgebühr bei Lebensmitteln sollen der durchschnittliche Aufwand für die Kontrolle zuzüglich Vor- und Nachbereitung, An- und Abfahrzeiten, Reisekosten und der Wert der Amtshandlung herangezogen werden. Die Pauschalierung von durch die Unternehmen zu entrichtenden Gebühren mag zunächst zweckdienlich erscheinen und auch der allgemeinen Gebührenpraxis entsprechen. Es sind allerdings die verfassungsrechtlichen Grenzen zu beachten.
Es ist insoweit darauf hinzuweisen, dass „Pauschalgebühren“ verfassungsrechtlich jedenfalls dann als problematisch anzusehen sind, wenn diesen nicht in jedem Fall eine Leistung gegenüber steht, da die Unternehmen bekanntermaßen nach einem risikoorientierten Ansatz überwacht werden und Regelkontrollen in sehr unterschiedlichen Zeitabständen stattfinden. Eine Gebühr muss jedoch stets das Entgelt für eine konkrete Leistung der öffentlichen Hand darstellen (siehe Wiemers, ZLR 5/2013, S. 525, 531 m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht definiert Gebühren als „öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch öffentlich-rechtliche Normen oder sonst hoheitlich auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an die Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken (BVerfG NJW 2004, S. 3321)“. Es ist danach zumindest fraglich, ob Kontrollmaßnahmen, die von behördlicher Seite im rein öffentlichen Interesse durchgeführt werden, Anknüpfungspunkt für die Erhebung einer (Pauschal-) Gebühr sein können.
Auch die Einordnung als Steuer kommt bei fehlender Gegenleistung nicht in Betracht. Zwar werden Steuern gem. § 3 Abs. 1 S. 1 Abgabenordnung als Geldleistungen definiert, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz eine Sonderleistung knüpft. Allerdings setzt das Vorliegen einer Steuer zudem voraus, dass das Aufkommen der Abgabe in den allgemeinen Staatshaushalt fließt.
Bleibt die Möglichkeit der Sonderabgabe zu prüfen, die nicht den allgemeinen Haushalt eines Gemeinwesens bedient und zugleich eine gesellschaftliche Gruppe – zusätzlich zur bereits gegebenen Steuerlast – wegen einer speziellen Verantwortlichkeit für eine den Gruppenmitgliedern obliegende Finanzierungsaufgabe belastet. Diese Sonderbelastung der Gruppe muss durch einen besonderen Belastungsgrund gerechtfertigt sein, durch den sich der Schuldner von der Allgemeinheit der Steuerpflichtigen abhebt. Mit deren Erhebung darf nicht nur der Finanzierungszweck als solcher verfolgt werden, sondern es muss zugleich auch eine darüber hinausgehende Wirkung erzielt werden (siehe Wiemers, a.a.O., m.w.N.).
Das BVerfG stellte mit Entscheidung vom 3.2.2009 (Az. 2 BvL 54/06 - CMA) fest: „Lässt sich eine Finanzierungsverantwortung der mit einer Sonderabgabe belasteten Abgabepflichtigen praktisch ausschließlich mit Blick auf Zweck und Wirkung staatlicher Förderungsmaßnahmen zugunsten der belasteten Gruppe begründen, bestehen in Bezug auf die gruppennützige Verwendung erhöhte Anforderungen. Der durch die Abgabe zu finanzierende und die Abgabe rechtfertigende Gruppennutzen muss evident sein.“ [Leitsatz]
Eine spezielle Finanzierungsverantwortung der von einer Gebührenerhebung betroffenen Lebens- und Futtermittelunternehmen ist jedenfalls im Hinblick auf – nicht anlassbezogene – Routinekontrollen und der damit verbundenen allgemeinen Kontrolltätigkeit der amtlichen Überwachung äußerst fraglich. Denn diese dient dem allgemeinen Ziel des Verbraucherschutzes und wird im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge gewährleistet. Zudem leisten Unternehmen wie erwähnt bereits heute einen erheblichen Beitrag durch die Entrichtung von Gewerbesteuern und tragen damit eine besondere Finanzierungsverantwortung gegenüber den Leistungen der Kommunen. Bedenklich erscheint ferner, dass mit der Sonderabgabe ein Sonderhaushalt geschaffen wird, der der parlamentarischen Budget-Kontrolle nicht unterliegt, wobei die Erhebung der Sonderabgabe nicht auf die Gesetzgebungskompetenz der Finanzverfassung gestützt werden kann, sondern auf die spezielle Gesetzgebungskompetenz der Sachmaterie gestützt werden muss. Wie bereits ausgeführt, darf nicht nur der Finanzierungszweck im Vordergrund stehen, sondern es muss eine darüber hinausgehende Wirkung erzielt werden (BVerfG, s.o., Rn. 100, vgl. insb. auch Rn. 105 m.w.Arg.). Zudem erscheint es verfehlt, diesen Bereich der Verbraucherschutzpolitik aus parlamentarischen Budget-Verhandlungen gänzlich auszunehmen und damit zugleich die Möglichkeit, unterschiedliche Interessen der verschiedenen Beteiligten einzubringen. Sofern also (Pauschal-) Gebühren ohne eine konkrete behördliche Gegenleistung, d.h. ohne Durchführung einer Kontrolle angestrebt würden, wäre diese aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft verfassungswidrig.
2.9 Überhöhte Gebührensätze
Nach einer ersten Durchsicht der für bestimmte Untersuchungen angelegten Gebührensätze erscheinen diese deutlich höher als vergleichbare Analysen privater Labore. Diesbezügliche Prüfungen dauern noch an. Klar ist allerdings, dass die angelegten Gebührensätze nicht zur großzügigen Finanzierung des behördlichen „Geräteparks“ dienen dürfen.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass eine Differenzierung nach unterschiedlichen Betriebsgrößen ausschließlich über den Zeitaufwand für die Kontrollen erfolgt. Diese Punkte werden zudem die entstehende, bereits erwähnte Privatisierungsdiskussion aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft zusätzlich befeuern.