Interview mit Aromenexperte

„Flavouristen verstehen sich als Künstler“

- In unserer neuesten Podcast-Folge sprechen wir mit Prof. Dr. Martin Steinhaus, Lebensmittelchemiker und Arbeitsgruppenleiter am Leibniz-Institut für Lebensmittelsystembiologie an der Technischen Universität München, über die faszinierende Welt der Aromen.
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Was wird eigentlich alles als Aroma bezeichnet und woher kommt der Begriff?

Das Wort „Aroma“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Gewürz“ oder „Duft“. Es gibt allerdings zwei unterschiedliche Bedeutungen: Einerseits beschreibt es den Sinneseindruck, etwa das Aroma eines reifen Hartkäses oder eines Weines. Andererseits bezieht sich „Aroma“ in der Zutatenliste von Lebensmitteln auf spezifische Zusatzstoffe, die rechtlich genau definiert sind.

In der Zutatenliste findet man oft Angaben wie „Aroma“, „natürliches Aroma“ oder „natürliches Erdbeeraroma“. Was bedeuten diese Bezeichnungen?

„Natürliches Erdbeeraroma“ bedeutet, dass die aromagebenden Bestandteile tatsächlich aus Erdbeeren stammen. Häufiger findet man jedoch „natürliches Aroma“, was darauf hinweist, dass die Substanzen biotechnologisch hergestellt wurden, etwa durch Fermentation mit Mikroorganismen wie Pilzen oder Bakterien. Einfach „Aroma“ bezeichnet hingegen Stoffe, die organisch-chemisch synthetisiert werden.

Gibt es mehr natürliche oder synthetische Aromen?

Natürliche Aromen werden stark nachgefragt, weshalb der Bedarf kaum gedeckt werden kann. Insbesondere natürliche Aromen wie Vanille oder Erdbeere sind oft knapp und teuer. Synthetische Aromen, die auf chemischen Ausgangsstoffen basieren, unterliegen solchen Einschränkungen nicht.

Wie entsteht denn ein neues Aroma?

Ein Lebensmittelhersteller wendet sich an einen Aromenhersteller mit spezifischen Anforderungen, etwa: „Das Produkt soll eine grüne Note haben.“ In den Flavour-Houses gibt es dann speziell ausgebildete Flavouristen, die sitzen letztendlich an einem großen Schreibtisch und haben vor sich ein Regal mit einzelnen Aromastoffen oder auch Extrakten. Das können ein paar hundert Fläschchen sein, und dann fangen sie an, nach den Vorgaben des Lebensmittelherstellers mal so ein erstes Aroma zusammenzumischen. Da können Sie sich schon vorstellen, das geht nicht ohne große Erfahrung. Und dieses erste Aroma wird dann dem Lebensmittel zugesetzt. Dann wird das erstmal innerhalb des Flavour-Houses verkostet: Kann man das dem Kunden zeigen? Und wenn es für gut befunden wird, dann darf der Kunde es verkosten. Ist der Kunde zufrieden, wird das Aroma in größeren Mengen hergestellt und in Lebensmitteln eingesetzt.

Was ist denn das bekannteste Aroma?

Ganz klar Vanille. Vanillin ist die weltweit am häufigsten hergestellte Aromasubstanz.

Wie wichtig ist das Thema Aromen bei der Reduktion von Zucker, Fett und Salz in Lebensmitteln?

Aromen können den Geschmack kompensieren, aber nur begrenzt. Vanillin beispielsweise wird mit süßen Lebensmitteln assoziiert, was den wahrgenommenen Zuckergehalt verstärken kann. Doch ein vollständiger Ersatz von Zucker oder Fett ist nicht möglich. Außerdem beeinflusst die Reduktion von Fett die Freisetzung von Aromastoffen, was oft eine Anpassung der Rezeptur erfordert. Hintergrund ist, dass die meisten Aromastoffe Substanzen sind, die sich relativ gut in Fett lösen. Das heißt, wenn das Fett fehlt, dann werden sie stärker freigesetzt. Das klingt erstmal positiv, weil, dann würde ja das Aroma intensiver werden. Allerdings ist es so, dass dieser Effekt bei den einzelnen Substanzen durchaus unterschiedlich sein kann. Das heißt, man verschiebt die Balance, und dann kann das Aroma aus dem Gleichgewicht geraten.

In Anbetracht begrenzter Rohstoffverfügbarkeit – wie nachhaltig ist es, echte Vanilleschoten zu verwenden?

Der Anbau von Vanille verbraucht Ressourcen, und biotechnologisch hergestelltes Vanillin ist oft nachhaltiger und günstiger. Natürliches Vanillin aus Schoten sollte eher für Produkte verwendet werden, die das gesamte Aroma der Vanilleschote nutzen, etwa Vanilleextrakte.

Inwieweit wird denn künstliche Intelligenz bei der Erstellung neuer Aromen schon genutzt?

Es gibt zumindest Entwicklungen, die in Richtung Verwendung von KI bei der Herstellung von Aromen gehen. Das trifft vielleicht, könnte ich mir vorstellen, bei den Flavouristen auch ein bisschen auf Widerstand. Die Flavouristen, die verstehen sich gerne als Künstler, und ein Künstler lässt sich nicht so gerne reinreden, wie er seine Aromen mischen möchte. Aber ich sehe das Potenzial definitiv, dass hier zum Beispiel mit bestimmten Stichworten, die jetzt ein Kunde vorgibt, dann eine KI schon eine Rezepturempfehlung geben kann. Potenzial hat die KI außerdem wenn es darum geht, auf die Änderung der Lebensmittelrezeptur zu reagieren, also zum Beispiel wenn man sie mit Daten füttert, wie sich die Reduktion von Fett auf die Wahrnehmung bestimmter Aromanoten im Lebensmittel auswirkt. Dann kann ich mir durchaus vorstellen, dass solche Rezepturanpassungen in Zukunft schneller und zielführender passieren können.

Abschließend: Welche Aromen verbinden Sie persönlich mit der Weihnachtszeit?

Vanille gehört natürlich dazu, kombiniert mit Zimt und Nelken. Ich mache mir gerne einen alkoholfreien Punsch aus Apfel- und Johannisbeersaft – das ergibt einen unverwechselbaren weihnachtlichen Duft und Geschmack.

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