Journalisten müssen Faktenprüfer sein
Wie funktioniert professionelle Information heute in Gegenwart von Fake-News und sozialmedialer Meinungsmache? Wie weit kann und darf Vereinfachung gehen? Über die Fragen, die die aktuelle Diskussion in und über die deutschen Leitmedien mitbestimmen, debattierten Journalisten und Vertreter von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik am Mittwoch beim 4. Mediendialog Lebensmittel des BLL.
Eingeladen zu der Expertendiskussion hatte der Spitzenverband der Lebensmittelwirtschaft BLL ins passende Ambiente: Das altehrwürdige Westberliner Premierenkino Zoo Palast. „Kino ist Fake – Fake, den wir lieben. Wo könnte man also besser über Fake diskutieren als im Kino“, begrüßte BLL-Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff die rund 150 Gäste im stimmungsvollen Halbdunkel des Kinosaals. Auch Popcorn und Eiskonfekt war vorbereitet, um das Erlebnis für die Teilnehmenden komplett zu machen.
Transparenz, Dialog und Selbstkritik: Wege aus der Vertrauenskrise
Stephan Nießner, Präsident des BLL, verglich zu Beginn seiner Ansprache die aktuelle Situation des Journalismus in Deutschland mit der der Lebensmittelwirtschaft in den letzten Jahren. Sie sei gekennzeichnet von einer tiefen Vertrauenskriese – nicht zuletzt verursacht durch Angriffe von außen. Gründe für die Situation der Journalisten seien Zeitnot und schlechtere finanzielle Ausstattung. So müsse Recherche oft „gefährlichen Gut-Böse-Schemata“ weichen, Geschichten würden drapiert, die andere erfunden hätten – oftmals auch zum Leidwesen der Lebensmittelwirtschaft. Nießer forderte eine kritische Prüfung aller Quellen. Gleichzeitig warnte er vor Vereinfachung, die echte Lösungen in Gefahr bringen könne. Als Ausweg gebe es für Nießner nur ein mutiges „Fakten-auf-den-Tisch“. Dieser Devise habe sich auch der BLL seit Jahren verschrieben und setze auf eine wissenschaftsbasierte und sachorientierte Diskussion. Stephan Nießner appellierte an die Medienvertreter, sich als echte Faktenprüfer zu rehabilitieren und die journalistischen Kerntugenden Wahrhaftigkeit, Sorgfalt und Fairness zurückzuerobern.
Allein das Auswählen von Fakten bereits interessengeleitet
„Jeder Wahnsinn hat seine Website“, fasste Prof. Norbert Bolz, Medienwissenschaftler an der TU Berlin, in seiner Keynote die Situation pointiert zusammen. Jede könne im Zeitalter Sozialer Medien eigene Wahrheiten publizieren – ohne einen Filter durch früher etablierte Gatekeeper. Die Kommunikation sei bestimmt von Enthemmung und der Entstehung von Echokammern. Durch die wachsende Vernetzung bekämen Fake-News eine eigene Dynamik. Aber auch ein anderer Aspekt würde ihre Verbreitung beschleunigen, so Bolz: Die Neigung der Menschen zum Spektakulären und zu Illusionen. Diesem Gesetz folgend seien auch Massenmedien nicht an der Wahrheit interessiert, sondern orientieren sich am Neuen, am Interessanten. Eine Entfremdung von der Wirklichkeit sei die Folge, analysierte Bolz. Er plädierte in diesem Zusammenhang für ein „cooleres Verhältnis zur Lüge“. Lügen gebe es in den Medien zwar nicht. Denn diese könne man sofort widerlegen. Eine Manipulation entstehe aber dennoch durch Verschweigen von Fakten. Mehr Transparenz und Orientierung könne und solle eine bessere Unterscheidung von Meinung und Information bringen, so Bolz, wie sie früher im Journalismus gegolten habe.
Qualitätsjournalismus gibt’s nicht zum Nulltarif
„Zum ersten Mal müssen wir Journalisten unseren Beruf erklären und rechtfertigen. Das ist neu“, berichtete Prof. Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbands DJV im ersten Podium. Gleichzeitig verteidigte er seine Zunft. Wie gute Lebensmittel gebe es guten Journalismus eben nicht zum Nulltarif. Die Konkurrenz um Aufmerksamkeit aus den Sozialen Medien würde hier zusätzlichen Druck aufbauen. Mit Bezug auf dominierende Nachrichtenfaktoren stellte er die Frage, was man sich denn im Verwandtenkreis erzähle. Auch hier hätten Neuigkeiten und Außergewöhnliches Vorrang.
David Harnasch von der Debattenplattform „Salonkolumnisten“ sah darin eine Chance. Fakten müssen seiner Meinung nach einfach nur gut verpackt werden. Ohne eine Prise Humor gehe es aber nicht. So berichtete er, wie die Salonkolumnisten in Antwort auf die Kampagne einer Umwelt-NGO gegen „Nervengift in Spargel“ mit der Feststellung konterte, die NGO warne im Kern davor, man solle keinesfalls mehr als acht Kilo Spargel auf einmal essen. Die richtige Einordnung der geltenden Grenzwerte hatte Erfolg. Der Beitrag erhielt viel positive Resonanz.
Das erste Podium im Video-Rückblick
Kapitulation vor der Komplexität?
Journalisten müssen vereinfachen – zu diesem Ergebnis kamen die Journalisten Jakob Augstein und Nikolaus Blome in ihrer Pro-Contra-Einordnung zwischen den beiden Panels. Dies klang auch in der folgenden Podiumsdiskussion an: Jamila Schäfer, Sprecherin der Grünen Jugend, unterstützte die These: „Ohne Vereinfachung geht es nicht.“ In der Politik, den Medien und im Gespräch mit Freunden, Menschen würden sich einfache Antworten wünschen.
BLL-Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff warf ein, dass bei der Reduktion immer Meinung im Spiel sei. Meist seien die Interessen jedoch letztlich nicht mehr klar zu erkennen. Er betonte, dass die Reduktion heute oft technische Gründe habe.
Journalist und Filmemacher Stefan Lamby konstatierte, es gebe zu jeder Bewegung auch eine Gegenbewegung. So gebe es auch Menschen, die nicht nur an Schlagzeilen interessiert seien, sondern auch an tiefergehenden Informationen. Der bekannte Publizist und ehemalige FAZ-Herausgeber Hugo Müller-Vogg gab aber zu bedenken, dass gute Inhalte – wie Lambys Dokus – im Fernsehen immer erst nach 22 Uhr liefen. „Auch die Öffentlich-Rechtlichen sind dem Diktat der Quote unterworfen“, kritisierte er.