Wissenschaftliche Daten zu Ernährung, Bewegung und Übergewicht
- Übergewicht ist weltweit ein Problem für die Gesellschaft. Auch in Deutschland sind Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen seit Jahrzehnten weit verbreitet. Positiv ist jedoch, dass die Situation stabil zu sein scheint: Im 1998 veröffentlichten Bundesgesundheitssurvey hatten 67 Prozent der westdeutschen und 66 Prozent der ostdeutschen Männer einen BMI von 25 und höher, in der neuen Nationalen Verzehrsstudie II (NVS II) sind es bundesweit 66,3 Prozent. Bei den Frauen waren es 1998 57 % im Osten und 52% im Westen, heute sind es insgesamt 50,6 Prozent. Der Anteil der adipösen Männer (BMI 30 und höher) liegt in der NVS II bei knapp 21 Prozent (1998: 21% im Osten, 18% im Westen), bei den Frauen liegt er bei 21,1 Prozent (1998: 24% im Osten, 21% im Westen). Unter den Kindern und Jugendlichen sind im Mittel 15 Prozent übergewichtig oder adipös, dies ist das Ergebnis des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) des Robert-Koch-Instituts. Einige Bundesländer melden positive Signale für ein Stagnieren bzw. einen Rückgang übergewichtiger Erstklässer.
Das Ursachengeflecht ist komplex
Erklärungsansätze verweisen häufig auf „naheliegende“ Ursachen, die sich wissenschaftlich allerdings nicht bestätigen lassen. Entscheidend ist der Lebensstil nicht das Lebensmittelangebot.
Mittlere Energiezufuhr unterhalb der D-A-CH-Referenzwerte
Die Nationale Verzehrsstudie II (NVS II) liefert mit der Auswertung des Lebensmittelverzehrs und der Nährstoffaufnahme ein aktuelles Bild über die Ernährungssituation. Hierin entspricht die mittlere Kalorienaufnahme im Großen und Ganzen den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für die Energiezufuhr bei niedriger körperlicher Aktivität. Die Energiezufuhr liegt sogar unter den Empfehlungen für eine mittlere körperliche Aktivität. Gegenüber früheren Erhebungen ist die Energiezufuhr im Durchschnitt der Bevölkerung deutlich zurückgegangen. Die Ergebnisse zeigen im Hinblick auf die Energiebilanz „Kalorienaufnahme vs. Kalorienabgabe“, dass der Bewegung eine größere Bedeutung beigemessen werden muss.
Verbrauch an Obst und Gemüse ist gestiegen
Der Ernährungsbericht 2004 zeigt, dass der Verbrauch von Obst und Gemüse angestiegen ist. Der Gemüseverbrauch nimmt seit 1995 um durchschnittlich 1,6 kg pro Kopf und Jahr zu, der Obstverbrauch um ca. 2 kg pro Kopf und Jahr. Zwar ist der Verzehr von Obst und Gemüse gemessen an der Empfehlung der DGE absolut noch nicht zufrieden stellend; zwei Drittel der zugeführten Nahrungsenergie stammen inzwischen jedoch aus pflanzlichen Produkten, d. h. die Empfehlung, sich vorwiegend von pflanzlichen Lebensmitteln zu ernähren, wird im Durchschnitt von allen Personengruppen in Deutschland erreicht. Den neuen Daten aus der NVS II zufolge, übertrifft der Obst- und Gemüseverzehr im Mittel die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO von mindestens 400 Gramm am Tag.
Das Verhältnis der Makronährstoffe zueinander hat sich in der Ernährung der Deutschen verbessert
Zu diesem Ergebnis kommt sowohl ein Vergleich der Verzehrsstudien NVS I (19851989) mit Daten des Bundesgesundheitssurveys (1998) als auch der Ernährungsbericht 2004 auf Basis von Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichproben 1988,1993 und 1998.
Durchschnittlicher Energieanteil aus Fetten ist gesunken
In den 80er und zu Beginn der 90er Jahre zeigen die beiden für Deutschland repräsentativen Verzehrserhebungen NVS I und der Bundesgesundheitssurvey 1991 noch einen Energieanteil von Fetten in der Ernährung der deutschsprachigen Wohnbevölkerung von über 40 Prozent auf. 1998 konstatiert der Bundesgesundheitssurvey einen gesunkenen Anteil von durchschnittlich 33 Prozent. Der Ernährungsbericht 2004 bestätigt im Grund-satz diese positiven Entwicklungen er stellt je nach Personengruppe 3338 Prozent fest. Diesen Trend gilt es fortzusetzen.
Verzehr an Zucker stabil
Der zum Verzehr zur Verfügung stehende Zucker ist im Mittel mit 35 kg pro Kopf und Jahr seit 30 Jahren mehr oder weniger unverändert, dies belegt die Agrarstatistik. Der verfügbare Gesamtmarkt für kalorienhaltige Süßungsmittel in Deutschland einschließlich Honig beträgt 43 kg/Kopf. Auch Auswertungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe in den Jahren 1988, 1993 und 1998 zum tatsächlichen Verzehr zeigen, dass der durchschnittliche Saccharosekonsum über diesen 10-Jahreszeitraum stabil war. Mit Bezug auf die gesundheitliche Bewertung ist hierüber hinaus festzustellen, dass der beobachtete Zuckerverzehr weder mit einer unzureichenden Versorgung mit Mikronährstoffen noch mit der Prävalenz von Übergewicht assoziiert ist.
Verzehr an Polysacchariden leicht gestiegen
Der Ernährungsbericht 2004 zeigt, dass der Anteil der Polysaccharide von 1988 bis 1998 bei Männern und Frauen um ein Prozent zugenommen hat, der Anteil Disaccharide dagegen bei den Männern um einen Prozentpunkt gefallen ist.
Trends in der Energie- und Nährstoffversorgung von Kindern und Jugendlichen
Hinweise, wie sich die Energie- und Nährstoffaufnahme von Kindern und Jugendlichen zwischen 1985 und 2000 entwickelt hat, gibt die DONALD-Studie (Dortmund Nutritional and Anthropometric Longitudinally Designed Study). Nach dieser im Raum Dortmund durchgeführten Studie blieb die Gesamtzufuhr an Energie bei den betrachteten Kindern und Jugendlichen über die Jahre konstant. Die Aufnahme von Gesamtfett ging in allen Altersgruppen im Zeitablauf merklich zurück, während die Kohlenhydrataufnahme stieg. Der Zuckerverzehr blieb in der beobachteten Zeitspanne konstant. Der Verzehr von Süßwaren und Gebäck blieb unverändert. Die DONALD-Studie zeigt im Vergleich mit der Nationa-len Verzehrsstudie bei Kindern und Jugendlichen aus den Jahren 19871988 gute Übereinstimmungen und lässt damit auf einen positiven Trend bei den Ernährungsgewohnheiten bei Kindern und Jugendlichen schließen.
Übergewichtige verzehren bestimmte Lebensmittel nicht signifikant häufiger als Normalgewichtige
Die Vermutung, dass bestimmte Lebensmittel für Übergewicht verantwortlich sind, lässt sich nicht belegen. Ergebnisse verschiedener Studien in Deutschland zeigen, dass das durchschnittliche Ernährungsmustr kaum in Beziehung zum durchschnittlichen Ernährungszustand der Kinder steht. 13,3 Prozent der Kinder mit einem „guten“ und 15,7 Prozent mit einem „schlechten“ Ernährungsmuster sind übergewichtig. Dieser Unterschied ist statistisch nicht signifikant. In der Kieler Adipositas Präventionsstudie (KOPS) war das alters- und größenbezogene Gewicht bei Kindern mit so genannten optimalen, normalen oder ungünstigen Verzehrsgewohnheiten annähernd gleich. Auch eine Untersuchung bei über 6.800 Schulanfängern in Bayern zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen normal- und übergewichtigen Kindern mit Blick auf den Verzehr an Schokolade, Keksen oder Kuchen. Eine Auswertung der Daten der ersten Nationalen Verzehrsstudie durch Heseker (1999) zeigt, dass Schlanke mehr Süßwaren und Schokolade verzehren. Auch Daten der Health Behaviour in School-Aged Children Study (HBSC) im Auftrag der WHO ergibt eine negative Korrelation zwischen dem Verzehr von Süßigkeiten und dem BMl. In 31 der 34 untersuchten Länder (91 Prozent) ist ein höherer Süßigkeitenkonsum mit einem geringeren BMI assoziiert.
Portionen sind nicht größer geworden
Verzehrserhebungen in den USA zufolge haben sich die Portionsgrößen und die Energiezufuhr/Portion erhöht. Erfahrungen mit Blick auf die Portionsgrößen im deutschen Einzelhandel und in der Systemgastronomie sprechen gegen eine vergleichbare Entwicklung. Im Gegenteil: Beispielsweise konnte im Bereich Süßwaren in den vergangenen Jahren die verstärkte Einführung von Mini-Größen beobachtet werden. Ohnehin können die Verhältnisse in den USA unter keinem Aspekt auf die Situation in Europa ohne weiteres übertragen werden. Eine Untersuchung von Rozin/Fischler dokumentiert z. B., dass die Portionen in Frankreich im Restaurant, im Supermarkt wie in Kochbuchangaben kleiner sind im Ver-gleich zu den USA. Auch eine repräsentative GfK-Studie zeigte, dass in Deutschland kein Trend zu größeren Verpackungseinheiten besteht.
Übergewicht ist stark beeinflusst von sozio-ökonomischen Faktoren
Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas ist durch ein starkes soziales Gefälle gekennzeichnet. Dies gilt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder: Je höher der Schulabschluss, desto geringer ist der BMI bei Männern und Frauen, so die NVS II. Besonders deutlich ist der Zusammenhang mit der sozialen Schicht bei den Frauen. In der unteren Schicht sind 35 Prozent der Frauen adipös, in der Oberschicht nur noch 10 Prozent. Maßnahmen zur Prävention müssen speziell diese Bevölkerungsgruppen erreichen. Hierin liegt eine große Herausforderung für Politik und Gesellschaft.
Ebenso zeigen die Ergebnisse des ersten für Deutschland repräsentativen Kinder- und Jugendsurveys (KiGGS), dass Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem Sozialstatus von Übergewicht und Adipositas häufig betroffen sind, genauso wie Kinder mit Migrationshintergrund. So sind beispielsweise 14 Prozent aller 1417-Jährigen aus Familien mit niedrigerem sozialen Status adipös, unter den Jugendlichen aus Familien mit hohem sozialen Status sind es mit 5,2 Prozent ungleich weniger. Auch die verschiedenen regionalen Schuleingangsuntersuchungen zeigen diesen Zusammenhang beispielsweise in Berlin oder Aachen.
In Kiel ist das Vorkommen von Übergewicht bei Kindern von Eltern mit Hauptschulabschluss dreifach höher als bei Kindern von Eltern mit Abitur. In sozial schwachen Familien ist dort zudem der Fernsehkonsum höher und die Kinder bewegen sich weniger. Schließlich sind Kinder übergewichtiger Eltern häufiger übergewichtig als Kinder von normalgewichtigen Eltern. Dies ist auch ein wichtiges Ergebnis von KiGGS.
Dies zeigt, dass der sozioökonomische Faktor wesentlich für die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas ist. Noch fehlen Theorien und Modelle, die den Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und Übergewicht im Kindesalter schlüssig erklären können. Erforderlich sind Maßnahmen, die mit der notwendigen Sorgfalt geplant sind und Erfahrungen aus anderen lnterventionsbereichen berücksichtigen. „Nach dem Gießkannenprinzip“ zu verfahren, um schnelle Lösungen zu erzielen, ist nicht zielführend: Evaluationsstudien zur schulischen Suchtprävention zeigen, dass sich Maßnahmen ohne weitere Differenzierung auf die vulnerablen Gruppen hin nicht bewähren.
Passiver Lebensstil prägt den Alltag von Kindern und Jugendlichen
Betrachtet man die heutige Bewegungswelt eines Grundschulkindes, so verbringt es durchschnittlich neun Stunden am Tag liegend, neun Stunden sitzend, fünf Stunden stehend und eine Stunde mit Bewegung, wobei 15 bis 30 Minuten davon auf intensive Bewegung entfallen. Zu diesem Ergebnis kommen Obst und Bös (1997) in einer Analyse von Bewegungstagebüchern von Grundschülern. Ein Generationsvergleich bei 10-Jährigen ergibt, dass sich innerhalb von 20 Jahren die motorische Leistungsfähigkeit um 10 Prozent bis 20 Prozent verschlechterte. Parallel dazu stieg der Anteil übergewichtiger Kinder von 16 Prozent auf 31 Prozent an. Auch die Auswertungen des „Bewegungs-Check up“ der Jahre 2001 bis 2003 zeigen einen deutlichen Rückgang der körperlichen Fitness bei 9- bis 15-Jährigen hinsichtlich anaerober Ausdauer, Koordination und Kraft.
Je höher die körperliche Aktivität, desto niedriger der BMI
Eine Vielzahl von Studien zeigt einen eindeutigen und überzeugenden Zusammenhang zwischen körperlicher Inaktivität und Übergewicht auf: Je höher die körperliche Aktivität, desto geringer die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Übergewicht. So verdeutlicht beispielsweise die in 34 überwiegend europäischen Ländern durchgeführte Studie HBSC der WHO: Je höher die körperliche Aktivität, desto niedriger der BMI der 1016-Jährigen in 29 Ländern. In die gleiche Richtung zeigen die ersten vorläufigen Ergebnisse der HELENA-Studie, die das Ernährungs- und Bewegungsverhalten von Jugendlichen in verschiedenen europäischen Zentren untersucht.
Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene sind nicht ausreichend körperlich aktiv
Die Mehrheit der Bundesdeutschen ist nicht ausreichend körperlich aktiv, ergab der repräsentative Bundesgesundheitssurvey 1998. Neben einem Tagesverlauf, der generell durch bewegungsarme Tätigkeiten geprägt ist, betreiben fast die Hälfte der Männer und Frauen überhaupt keinen Sport in ihrer Freizeit. 57 Prozent der Deutschen meinen außerdem nicht, dass sie mehr körperliche Aktivität brauchen.
Eine 2004 im Auftrag der Europäischen Kommission durchgeführte Untersuchung zeigt, dass 53 Prozent der Befragten in Deutschland weniger als ein Mal pro Monat Sport treibt diese Ziffer deckt sich im Übrigen mit dem EU-Durchschnitt. Diese Studie zeigt auch: Je niedriger der Bildungsgrad, desto weniger wird Sport getrieben.
Bös et al. (2002) kommen bei einer Untersuchung deutscher Grundschulkinder zu dem Ergebnis, dass ein Viertel der Kinder einmal oder weniger in der Woche im Freien spielt. Immer weniger Kinder gehen zu Fuß zur Schule oder fahren mit dem Rad. Die Bewegungs- und freien Spielzeiten der Kinder sind dadurch deutlich zurückgegangen.
Im Verlauf der letzten 20 Jahre hat der Medienkonsum erheblich zugenommen. Nach Ergebnissen der HBSC-Studie war der TV-Konsum in 22 der 34 teilnehmenden Länder bei übergewichtigen Jugendlichen höher als bei normalgewichtigen. Eine Studiengruppe in München kam zu dem Ergebnis, dass 75 Prozent der Kinder täglich elektronische Medien, d. h. Fernsehen und Videospiele nutzten. Kinder, die diese Medien bis zu zwei Stunden pro Tag nutzen, haben ein 40 Prozent höheres Risiko für Übergewicht gegenüber Kindern, die nie bis selten elektronische Medien konsumieren. Bei einem Konsum von über zwei Stunden pro Tag ist das Risiko sogar 70 Prozent höher. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch andere Studien, die einen signifikanten Zusammenhang von Übergewicht und erhöhtem Fernsehkonsum bei Kindern und Jugendlichen zeigten.
Dringender Handlungsbedarf, körperliche Aktivität zu erhöhen
Die durchschnittliche Energiezufuhr liegt in Deutschland in allen Altersgruppen unter den entsprechenden Referenzwerten der D-A-CH-Referenzwerte. Diese Referenzwerte basieren jedoch auf einer adäquaten körperlichen Aktivität (PAL-Werte zwischen 1,6 und 1,75), die der Großteil der Bevölkerung jedoch nicht erreicht. Bewegungszeiten in Alltag und Freizeit zu erhöhen, ist ein dringliches gesundheitspolitisches Ziel. Nicht nur mit Blick auf die Prävention von Übergewicht ist eine gesteigerte körperliche Aktivität erforderlich, sondern auch hinsichtlich der positiven Auswirkungen auf die Prävention von koronaren Herzkrankheiten, Hypertonie, Diabetes mellitus, Osteoporose, einigen Krebserkrankungen und Erkrankungen des Bewegungs- und Haltungsapparates. Auch die Bedeutung von körperlicher Aktivität auf die psychische Gesundheit (Angst, Depression, Stressabbau etc.) ist unbestritten. Des Weiteren sind positive Auswirkungen auf verschiedene Krankheitsverläufe bekannt, so beispielsweise von Diabetes mellitus und Kolon-Krebs. Auch übergewichtige Menschen, die aktiv sind, haben ein kleineres Risiko an Herzkrankheiten oder Diabetes zu erkranken, als diejenigen, die keinerlei Sport treiben.
Die Bedeutung der Werbung für die Entstehung von Übergewicht wird überschätzt
Eine entscheidende Erkenntnis für die Diskussion um den Einfluss der Werbung ist die Tatsache, dass sich das Verzehrsmuster normal- und übergewichtiger Kindern kaum unterscheidet. Werbung hat in erster Linie zum Ziel, in Märkten mit starkem Wettbewerb die Kaufentscheidung auf eine bestimmte Marke innerhalb einer Kategorie zu lenken. Sie bleibt in aller Regel ohne Einfluss auf das Ernährungsverhalten im Allgemeinen. Werbung und Vermarktung darf den Verbraucher und insbesondere Kinder nicht irreführen. Dafür ist sowohl von gesetzgeberischer Seite als auch von Seiten der Unternehmen Sorge zu tragen. Werbung ist in der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten ausreichend und umfangreich geregelt. Hierüber hinaus hat die Wirtschaft freiwillige Verhaltensregeln entwickelt. In Deutschland gibt es seit 1972 den Deutschen Werberat, der als Konfliktregler zwischen Beschwerdeführern aus der Bevölkerung und werbenden Firmen arbeitet. Der Verband der europäischen Lebensmittelindustrie (CIAA) hat vor zwei Jahren Empfehlungen entwickelt für Unternehmen in Mitgliedstaaten, in denen keine vergleichbaren Richtlinien existieren. Die vom deutschen Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-schaft (BMVEL) in Auftrag gegebene Studie der Sonderforschungsgruppe lnstitutionenanalyse („Sofia“) zeigt: „Lebensmittelwerbung richtet sich selten direkt an Kinder und weist im Gegensatz dazu [zu Werbung für Spielzeug] kaum Verstöße gegen die Werberegel Nr. 5 [des Deutschen Werberats], Verbot der direkten Aufforderung zu Kauf oder Konsum, auf“.
Nicht zu beeinflussen, aber entscheidend für die Entstehung von Übergewicht:
Die Genetik
Über den quantitativen Anteil erblicher Faktoren für das Entstehen von Übergewicht gibt es zwar keinen Konsens. Einigkeit besteht aber darin, dass die genetische Veranlagung wesentlich das Risiko für die Entstehung von Übergewicht bestimmt. Unterschiede lassen sich verschiedenen Studiendesigns zuordnen. Je nachdem, ob es sich um Familien-, Adoptions-, oder Zwillingsstudien handelt, liegt ein der Veranlagung zuzuordnender beobachteter Effekt auf die Entstehung von Übergewicht zwischen 30 und 70 Prozent, so Bouchard 2001. Wardle et al. ermitteln 2008 in einer Zwillingsstudie einen Anteil von 77 Prozent.
Auch weitere Faktoren für Übergewicht relevant
Die Autoren einer Übersichtsstudie von Keith et al. 2006 zu den Ursachen von Übergewicht kommen zu dem Schluss, dass weitere bedeutende Einflüsse wie z. B. Schlafmangel, steigende Arzneimitteleinnahme, Klimafaktoren, ansteigendes spätes Gebäralter und weitere Faktoren in der öffentlichen Diskussion nicht ausreichend berücksichtigt werden. Zu-letzt haben auch Publikationen Aufsehen erlangt, die einen Zusammenhang zwischen der Art der Besiedlung der Darmflora und Übergewicht postulieren.
Ganzheitliche Ansätze sind erforderlich – Lebensstil ändern, Vorbild sein
Das vielfältige Lebensmittelangebot ermöglicht es dem Verbraucher, eine seinen individuellen Erfordernissen und Präferenzen angemessene Wahl zu treffen. Ernährungsmuster sind zudem sozialisierte Erfahrungen, die während der Kindheit und Jugend erlernt werden. Eine ausgewogene Ernährung zu erlernen, heißt also auch frühzeitig diesbezüglich positive Erfahrungen zu sammeln. Das gleiche gilt auch für die Bewegung.
Eine aktive Gesellschaft ist eine gute Aussicht nicht nur für die Prävention von Übergewicht, sondern auch hinsichtlich der positiven Auswirkungen auf die Prävention von koronaren Herzkrankheit, Hypertonie, Diabetes mellitus, Osteoporose, einigen Krebserkrankungen und Erkrankungen des Bewegungs- und Haltungsapparates sowie auf die psychische Gesundheit.
Bonn, Juli 2008