Verwendung und Auslobung/ Kennzeichnung von Stoffen ohne zugelassene gesundheitsbezogene Angaben in Nahrungsergänzungsmitteln
- Die Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel (NemV) bestimmt in § 1 Abs. 1 Nr. 2, dass ein Nahrungsergänzungsmittel ein Lebensmittel ist, das ein Konzentrat von „Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung“ darstellt.
Positionspapier der Mitglieder des Arbeitskreises Nahrungsergänzungsmittel (AK NEM) im BLL
1. Voraussetzungen für die Verwendung „sonstiger Stoffe“ in Nahrungsergänzungsmitteln
Sonstige Stoffe, die in Nahrungsergänzungsmitteln Verwendung finden, sollen demnach eine „ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung“ haben. Diese ist abzugrenzen von der pharmakologischen Wirkung von arzneilich wirksamen Bestandteilen in Arzneimitteln.
Sowohl Nährstoffe als auch sonstige Stoffe können auch ohne Zulassung einer gesundheitsbezogenen Angabe gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (Claims-Verordnung) eine ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung haben. Aus der „Nicht-Zulassung“ einer gesundheitsbezogenen Angabe für einen „sonstigen Stoff“ folgt deshalb nicht, dass es an der erforderlichen ernährungsspezifischen oder physiologischen Wirkung fehlt, denn die Anforderungen an den Nachweis einer gesundheitsbezogenen Angabe nach der Claims-Verordnung unterscheiden sich deutlich von denen, die die Annahme einer ernährungsspezifischen oder physiologischen Wirkung rechtfertigen.
So ist für eine Reihe von Stoffen die ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung allgemein anerkannt, obwohl die EFSA zu keiner positiven Beurteilung einer spezifischen gesundheitsbezogenen Angabe gekommen ist. Eine ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung ist in der Regel immer schon dann zu bejahen, wenn ein sonstiger Stoff verstoffwechselt wird und/oder eine spezifische Funktion im Körper hat wie z. B. Ballaststoffe oder Phytosterine, und er in Abgrenzung zu Arzneistoffen nicht Wirkungen im Organismus erzeugt, die mit der normalen Ernährung nicht erreicht werden könnten. Beispielsweise ist der ernährungsspezifische/physiologische Effekt von Aminosäuren wissenschaftlich unbestritten. Trotzdem reichten die eingereichten wissenschaftlichen Belege für die Zulassung der beantragten gesundheitsbezogenen Angaben nicht aus. Weitere Beispiele sind Lutein, das wissenschaftlich unbestritten die Makuladichte der Netzhaut erhöht, und Glucosamin, das nachweislich in die Knorpelstruktur eingebaut wird. Dies bestätigt in beiden Fällen auch die EFSA trotz Ablehnung der zu bewertenden gesundheitsbezogenen Angaben.
Die Beispiele verdeutlichen, dass sich die Anforderungen an den Nachweis konkreter Gesundheitswirkungen deutlich von denen für die Beurteilung ernährungsspezifischer/physiologischer Wirkungen unterscheiden. Ergänzend ist darauf zu verweisen, dass die EFSA-Stellungnahmen spezifische Bewertungen konkret beantragter gesundheitsbezogener Angaben darstellen, nicht aber umfassende Bewertungen der untersuchten Stoffe im Hinblick auf sämtliche Gesundheitswirkungen und noch weniger im Hinblick auf deren ernährungsspezifische oder physiologische Wirkungen, denn diese waren nicht Untersuchungsgegenstand. Das gilt umso mehr in all den Fällen, in denen noch nicht einmal eine wissenschaftliche Beurteilung stattgefunden hat, etwa, wenn der sonstige Stoff oder die gesundheitsbezogene Angabe als nicht ausreichend charakterisiert bzw. nicht hinreichend präzise formuliert bewertet wurde.
Die Diätverordnung bzw. die neue Verordnung über Lebensmittel für spezielle Gruppen von Verbrauchern bestätigt diese Unterscheidung von Gesundheitswirkungen und ernährungsspezifischen/physiologischen Wirkungen, denn es werden eine Vielzahl von sonstigen Stoffen als zulässige Inhaltsstoffe aufgelistet, für die keine gesundheitsbezogenen Angaben zugelassen wurden. Zu nennen sind hier beispielsweise Aminosäuren, L-Carnitin, Taurin oder Nucleotide.
2. Die Bedeutung der Claims-Verordnung für Nahrungsergänzungsmittel
Die Claims-Verordnung gilt gemäß Artikel 1 Abs. 5 unbeschadet der Nahrungsergän-zungsmittel-Richtlinie 2002/46/EG, findet also nur insoweit Anwendung, als nicht vorrangig die Regelungen für Nahrungsergänzungsmittel gelten. Unter ihren Anwendungsbereich fallen zudem gemäß Artikel 2 Abs. 2 Nr. 1 ausschließlich nicht obligatorische, also freiwillige Angaben. Dementsprechend unterliegen die Pflichtkennzeichnungselemente nach § 4 NemV per se nicht dem Anwendungsbereich der Claims-Verordnung.
Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 NemV ist die Angabe der Nährstoffe und sonstigen Stoffe, die das Produkt charakterisieren sowie, deren Quantifizierung per Tagesdosis verpflichtend vorgeschrieben. Es handelt sich um obligatorische Angaben, die außerhalb des Anwendungsbereichs der Claims-Verordnung liegen und unabhängig von der Zulassung einer gesundheitsbezogenen Angabe für die betroffenen Nährstoffe oder sonstigen Substanzen erfolgen müssen. Auch die Frage, welche Zutaten für ein Erzeugnis kennzeichnend sind, und als solche angegeben werden müssen, ist unabhängig von dem Nachweis einer Gesundheitswirkung zu entscheiden. Da die Zweckbestimmung von Nahrungsergänzungsmitteln immer die Nahrungsergänzung ist, reicht es aus, wenn die in Rede stehenden Nährstoffe oder sonstigen Stoffe mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung die Zusammensetzung des Erzeugnisses prägen und für dieses charakteristisch sind.
Dies wird auch in dem von der Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU unterstützten Dokument „General principles for flexibility of wording for health claims” unter Punkt 4. „Particular considerations for health claims about food supplements“ anerkannt. Hier wird das Beispiel eines chondroitinhaltigen Nahrungsergänzungsmittels aufgeführt, zu dem es heißt: “Since this statement (contains “chondroitin and vitamin C”) is mandatory on a food supplement, it would be exempt from the rules in Regulation EC 1924/2006 by way of Article 2(2)(1).”. Damit wird erneut deutlich, dass ein Stoff ohne zugelassene gesundheitsbezogene Angabe keinem Auslobungs-/Kennzeichnungsverbot und erst recht keinem Verwendungsverbot in Nahrungsergänzungsmitteln unterliegt.
Werden über die obligatorischen Angaben nach der NemV hinaus Angaben zu Nährstoffen oder sonstigen Stoffen bei Nahrungsergänzungsmitteln verwendet, ist im Einzelfall zu entscheiden, ob es sich ggf. um bloße Wiederholungen von Pflichtangaben oder um nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben handelt, die dann an den Anforderungen der Claims-Verordnung zu messen sind. Dies ist auf der Grundlage der Begriffsbestimmungen der Claims-Verordnung zu entscheiden, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel besondere positive Nährwerteigenschaften hat (nährwertbezogene Angabe) oder ein Zusammenhang zwischen dem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile und der Gesundheit besteht (gesundheitsbezogene Angabe). In der Regel wird allein der Hinweis auf charakterisierende Inhaltsstoffe weder eine nährwert- noch eine gesundheitsbezogene Angabe, sondern als freiwillige Wiederholung einer Pflichtangabe eine bloße Beschaffenheitsangabe sein.
3. Zulässigkeit der Verwendung von nährwertbezogenen Angaben
Zunächst gilt es, zwischen nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben deutlich zu unterscheiden. Der Gesetzgeber differenziert bewusst zwischen nährwert- und gesund-heitsbezogenen Angaben und erlaubt nährwertbezogene Angaben auch zu Stoffen bzw. Stoffgruppen, für die gesundheitsbezogene Angaben nicht zugelassen wurden. Zum Beispiel gibt es eine zugelassene nährwertbezogene Angabe für Ballaststoffe, während es Zulassungen gesundheitsbezogener Angaben nur für spezifische Ballaststoffe aus Hafer-, Roggen- und Gerstenkorn sowie Weizenkleie gibt. Während also nährwertbezogene Angaben zu Ballaststoffen allgemein und ohne Einschränkung zugelassen sind, ist dies für gesundheitsbezogene Angaben gerade nicht der Fall, denn allgemeine gesundheitsbezogene Angaben zu Ballaststoffen wurden nicht zugelassen, sondern nur die erwähnten spezifischen Angaben.
Eine nährwertbezogene Angabe zu Stoffen ist möglich, wenn die nährwertbezogene Angabe zugelassen ist, d.h. im Anhang der Claims-Verordnung genannt ist, und die hierfür definierten Bedingungen der Verordnung erfüllt sind. Wie bereits ausgeführt, setzt eine nährwertbezogene Angabe nicht die Zulassung einer gesundheitsbezogenen Angabe voraus. Das gilt auch für nährwertbezogene Angaben zu Nährstoffen und sonstigen Stoffen in Form der Angabe „enthält Nährstoff/andere Substanz“.
Insbesondere kann der Verweis auf Artikel 5 der Claims-Verordnung im Rahmen der Verwendungsbedingungen für diese nährwertbezogene Angabe nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die erforderliche „positive ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung“ eines Stoffes, verwendet in einem Nahrungsergänzungsmittel oder in einem anderen Lebensmittel, durch eine Zulassung einer gesundheitsbezogenen Angabe bestätigt werden müsste.
4. Fazit
Die Regelungen der Richtlinie 2002/46/EG über Nahrungsergänzungsmittel bzw. der Nahrungsergänzungsmittel-Verordnung und der Claims-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 1924/2006) gelten jeweils für sich und sind voneinander unabhängig.
Aufgrund der inhaltlichen Nähe der Vorschriften zueinander bedarf es der Klarstellung, dass ungeachtet der begrifflichen Nähe der „ernährungsspezifischen oder physiologischen Wirkungen“ (NemV), „ernährungsbezogenen oder physiologischen Wirkungen“ (Art. 5 Claims-Verordnung), „besonderen positiven Nährwerteigenschaften (Art. 2 Claims-Verordnung) und „Zusammenhänge zwischen einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile und der Gesundheit“ (Art. 2 Claims-Verordnung) die Regelungen zu unterscheiden und streng getrennt voneinander zu betrachten sind.
Die Frage der ernährungsspezifischen oder physiologischen Wirkungen von Stoffen muss deshalb getrennt von der Feststellung erforderlicher Gehalte erfolgen, die ggf. Voraussetzung für eine nährwertbezogene Angabe aufgrund der Auslobung besonderer positiver Nährwerteigenschaften ist. Ebenso zu trennen ist sie vom Nachweis spezifischer Gesundheitswirkungen, die allein Voraussetzung der Zulassung und Verwendung gesundheitsbezogener Angaben sind.
Berlin, August 2013
Arbeitskreis Nahrungsergänzungsmittel (AK NEM)
Im AK NEM haben sich international und national agierende Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln, Rohwarenhersteller sowie Dienstleister zum fachlichen Austausch zusammengeschlossen.
Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V. (BLL)
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Das Positionspapier finden Sie hier als PDF-Dokument zum Download:
Verwendung und Auslobung/Kennzeichnung von Stoffen ohne zugelassene gesundheitsbezogene Angaben in Nahrungsergänzungsmitteln (August 2013)