Position/Stellungnahme

Code of Practice zur Vermeidung und Verringerung der Kontamination pflanzlicher Nahrungsergänzungsmittel mit Pyrrolizidinalkaloiden

- Der AK NEM hat spezifische Handlungsempfehlungen zur Vermeidung und Verringerung der Kontamination von pflanzlichen NEM mit Pyrrolizidinalkaloiden erstellt.

Die deutsche Nahrungsergänzungsmittelbranche ist sich ihrer Verantwortung für die Herstellung qualitativ hochwertiger und sicherer Produkte bewusst. Aus diesem Grunde hat der Arbeitskreis Nahrungsergänzungsmittel (AK NEM) im Lebensmittelverband Deutschland spezifische Handlungsempfehlungen (Code of Practice; CoP) zur Vermeidung und Verringerung der Kontamination von pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln mit Pyrrolizidinalkaloiden erstellt.

Einleitung

Pyrrolizidinalkaloide (PA) sind sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, die als natürliche Giftstoffe zum Schutz vor Fraßfeinden von schätzungsweise über 6000 verschiedenen Pflanzenspezies gebildet werden [1,2,3]. Bekannt sind bisher etwa 660 verschiedene Pyrrolizidinalkaloide und deren N-Oxide. Sie kommen besonders in Vertretern der Korbblütler (Asteraceae), der Rauhblatt- oder Borretschgewächse (Boraginaceae) und der Schmetterlingsblütler (Fabaceae) vor [1,4].

Von toxikologischer Relevanz sind die 1,2-ungesättigten Pyrrolizidinalkaloide. Diesen Pyrrolizidinalkaloiden werden akute und chronische lebertoxische Eigenschaften zugeschrieben [5,6,7]. Im Tierversuch haben 1,2-ungesättigte PA zudem karzinogene und mutagene Wirkungen gezeigt [5,6,7]. Die Gehalte an PA in Lebensmitteln sind i.d.R. in Europa so gering, dass akute Vergiftungen beim Menschen als unwahrscheinlich angesehen werden. Eine langfristige Aufnahme geringerer Mengen von PA über Lebensmittel kann jedoch ein chronisches Risiko bergen. Daher sollten PA-Gehalte in Lebensmitteln soweit wie möglich minimiert werden [3,7].

Nach Einschätzung des BfR und der EFSA können auch Nahrungsergänzungsmittel (NEM) mit pflanzlichen Inhaltstoffen PA-Eintragsquellen sein. Untersuchungen zeigen, dass auch in pflanzlichen NEM, die PA-haltige Pflanzen nicht als Zutat enthalten, zum Teil erhebliche Mengen an PA gefunden werden konnten [5,6]. Nach vorliegenden Erkenntnissen ist jedoch davon auszugehen, dass NEM, welche ölige Extrakte von PA-bildenden Pflanzen enthalten, PA-frei sind [5].

Zielsetzung

Die Nahrungsergänzungsmittelbranche ist sich ihrer Verantwortung für die Herstellung sicherer und qualitativ hochwertiger Produkte bewusst. Vor dem Hintergrund des potenziellen Eintrags von PA über pflanzliche NEM wurden im Arbeitskreis Nahrungsergänzungsmittel (AK NEM) des BLL spezifische Handlungsempfehlungen für die Branche erarbeitet.

Es handelt sich hierbei um ein Basispapier mit Grundsätzen, welches insbesondere den Herstellern von pflanzlichen NEM Hilfestellung geben soll, um Kontaminationen mit PA zu verringern. Basierend auf gemeinsamen Prinzipien sollen individuelle Maßnahmen des unternehmensinternen Qualitätsmanagements entwickelt werden. Ziel ist es, durch geeignete Maßnahmen der Qualitätssicherung auf allen Stufen der Wertschöpfungskette den PA-Eintrag über pflanzliche NEM in die Ernährung zu vermeiden bzw. soweit wie möglich zu senken.

Maßnahmen im Rahmen des unternehmensinternen Qualitätsmanagements

Eine vollständige Vermeidung der Kontamination von pflanzlichen Rohwaren mit PA ist nach dem heutigen Stand der Technik nicht möglich. Entscheidende Schritte zur Vermeidung von unbeabsichtigten PA-Einträgen im Rahmen einer branchen- und stufenübergreifenden Strategie sind vor allem auf der Stufe von Anbau und Ernte/Sammlung möglich. Hier gilt es die Eintragsquelle „unbeabsichtigtes Miternten/Verarbeiten von Unkräutern“ zu minimieren, denn einmal geerntetes Gut kann (derzeit) bei den meisten Pflanzenarten nur schwer oder nicht mehr nachgereinigt werden.

In der Verantwortung der Hersteller von pflanzlichen Rohstoffen, Zutaten und pflanzlichen NEM liegt es, die Thematik „PA“ in das firmenspezifische Qualitätsmanagement zu integrieren und das Risiko der Kontamination mit PA-haltigen Pflanzenteilen und -Samen im eigenen Produktportfolio zu erfassen und zu bewerten. Hierbei empfiehlt sich folgendes Vorgehen:

a) Maßnahmen zur Problemidentifizierung:

  • Analyse des Portfolios
  • Analyse von potentiell betroffenen Rohwaren / Extrakten / Produkten
  • Sammlung von Erfahrungswerten
  • Erstellen risikobasierter Prüfpläne im Zusammenwirken mit Lieferanten/Abnehmern innerhalb der jeweiligen Prozesskette

b) Maßnahmen zur Eintragsminimierung:

  • Überprüfung von Rezepturen
  • Vermeidung der Verwendung von PA-bildenden Pflanzen (Gesamtpflanze, Pflanzenteile, Samen, Zubereitungen oder Extrakte) - es sei denn, der Extrakt ist „PA-frei“ (ölige Extrakte) oder nach einer angemessenen Sicherheitsbewertung für den Verzehr geeignet
  • Auswahl der Rohware / Extrakte
  • Zusammenarbeit mit den Rohwaren- bzw. Extraktlieferanten

c) Maßnahmen zur Risikobewertung:

  • Risikobasierte Kontrollen: Probenahme und Analyse der Rohwaren/Zutaten, wie z. B. Extrakte oder Pulver (alternativ: Analyse der Endprodukte)
  • Risikobewertung unter Berücksichtigung der empfohlenen Tagesverzehrmenge des Endprodukts

Rechenbeispiel:
Ein Analysenergebnis des Extraktes ergibt einen Gehalt von 490 µg PA/kg Extrakt. Um eine Risikobewertung in Hinblick auf ein mögliches Gesundheitsrisiko vornehmen zu können, ist die Umrechnung auf das Produkt und den Tages-verzehr notwendig. Wenn z. B. 40 mg, 100 mg bzw. 200 mg des Extraktes pro Tablette und Tagesdosis eingesetzt werden, ergeben sich folgende tägliche Aufnahmemengen:

  • NEM mit 200 mg Extrakt: 0,1 µg PA / Tagesverzehrmenge
  • NEM mit 100 mg Extrakt: 0,05 µg PA / Tagesverzehrmenge
  • NEM mit 40 mg Extrakt: 0,02 µg PA / Tagesverzehrmenge

Solange Höchstgehalte nicht gesetzlich festgelegt sind, bietet sich zur ersten Beurteilung von ermittelten PA-Gehalten in NEM respektive ihren pflanzlichen Zutaten im Rahmen des unternehmensinternen Qualitätsmanagements eine Orientierung an dem Beschluss der Arbeitsgruppe „Lebensmittel, Bedarfsgegenstände, Wein und Kosmetika“ (ALB) der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz (LAV) zu PA in Kräutertee und Tees vom De-zember 2015 an: Demnach handelt es sich um ein nicht sicheres Lebensmittel im Sinne von Artikel 14 (2) der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, wenn der „health based guidance value“ (HBGV) von 0,1 μg PA pro kg Körpergewicht /Tag für das chronische nicht-kanzerogene Risiko überschritten ist. Bezogen auf einen Erwachsenen mit durchschnittlichem Körpergewicht (70 kg) [9] bedeutet dies eine Maximalmenge von 7 µg PA pro Tag.

Dieser Wert ist jedoch kein geeigneter Maßstab für die Ableitung von Freigabespezifikationen. Letztere sind vielmehr produktspezifisch, orientierten sich am Maßstab der Machbarkeit im Sinne des ALARA-Prinzips (As Low As Reasonably Achievable), der Verzehr-menge und gegebenenfalls im Hinblick auf die Zielgruppe festzulegen. Vor dem Hintergrund des chronisch kanzerogenen Risikos von PA sind bei Gehalten unterhalb des HGBV Risikomanagementmaßnahmen angezeigt. Eine grobe Orientierung bezüglich der Machbarkeit können hierbei für bestimmte Pflanzen die im genannten Beschluss des ALB aufgeführten „Eingriffswerte“ geben.

Bei Zubereitungen aus Kräutern, insbesondere Extrakten, sind bei guter Löslichkeit der PA eine Aufkonzentrierung und somit höhere Absolut-Werte zu erwarten. Ausschlaggebend ist jedoch auch hier die aus der konkreten Dosierung und Verzehrempfehlung abgeleitete Tagesaufnahmemenge an PA.

Analytik

Auch wenn die Kontamination von Lebensmitteln mit PA kein neues Phänomen darstellt, ist das Wissen über Spurengehalte in Lebensmitteln relativ neu und maßgeblich neuen hochsensitiven Analysenmethoden geschuldet. PA werden derzeit zumeist über eine flüssigkeitschromatographische Trennung mit anschließender massenspektrometrischer Detektion (LC-MS/MS) bestimmt und mit Hilfe von Referenzstandardsubstanzen quantifiziert.

Für die analytische Bestimmung von PA wird empfohlen, die Analysenmethode des BfR (BfR-PA-NEM-1.0/2018) zur Bestimmung von Pyrrolizidinalkaloiden (PA) in Pflanzenmaterial mittels SPE-LC-MS/MS [10] oder eine gleichwertige Methode zu verwenden. Die Bestimmungsgrenze der BfR-Methode liegt für jedes einzelne PA bei jeweils ≤10 µg/kg.

Die EFSA empfiehlt für Zwecke des Monitorings ein Untersuchungsspektrum von 17 PA [6]. Dieses wurde von der EU-Kommission um vier weitere Substanzen auf insgesamt 21 PA erweitert. Die BfR-Methode erfasst 28 verschiedene PA (PA und ihre Derivate). Dies ist auch der heute in Deutschland in den meisten Auftragslabors etablierte Routineprüfumfang. Alle 21 PA des EU-Spektrums sind im BfR-28-Spektrum enthalten. Es empfiehlt sich bei NEM das BfR-28-Spektrum zumindest solange anzuwenden, bis europaweit verbindliche Vorgaben vorliegen.

PA-haltige Unkräuter sind auf den Kulturflächen und damit auch als Kontamination in pflanzlichen Rohwaren inhomogen verteilt. Ein besonderes Augenmerk ist daher auf die Probenahme in den verschiedenen Stufen der Prozesskette zu richten. Unter Berücksichtigung vorangehender und/oder folgender Prozessschritte, des Homogenitätsgrades sowie der Kenntnis der Kultur-/Erntebedingungen sollte eine adäquate Probenahme in Bezug auf Probenzahl und -menge erfolgen. Weiterhin sollte auf eine geeignete Proben-zerkleinerung und -homogenisierung geachtet werden.

Risiken und Maßnahmen zur Risikoabwehr entlang der Produktionskette

In enger Anlehnung an die bereits identifizierten Risiken und die formulierten Minimierungsmaßnahmen in den Bereichen Arzneimittel und Tee/Kräutertee sind in Anhang 1 die stufenübergreifenden Möglichkeiten zur Vermeidung oder Reduzierung unerwünschter PA-Einträge und der Kontrolle von PA-Gehalten für pflanzliche NEM dargestellt.

Literatur/Quellen

  1. Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Analytik und Toxizität von Pyrrolizidinalka-loiden sowie eine Einschätzung des gesundheitlichen Risikos durch deren Vorkommen in Honig. Stellungnahme Nr. 038/2011 vom 11. August 2011, ergänzt am 21. Ja-nuar 2013
  2. Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Pyrrolizidinalkaloide in Kräutertees und Tees. Stellungnahme Nr. 018/2013 vom 5. Juli 2013
  3. Codex Alimentarius: Code of Practice for Weed Control to Prevent and Reduce Pyrrolizidine Alkaloid Contamination in Food and Feed“. CAC/RCP 74-2014
  4. Schött G. „Pyrrolizidinalkaloide – Eine Herausforderung für Landwirtschaft, Verbrau-cherschutz und Analytik“, DLR, S. 526-532, Dezember 2016
  5. Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Pyrrolizidinalkaloide: Gehalte in Lebens-mitteln sollen nach wie vor so weit wie möglich gesenkt werden. Stellungnahme Nr. 030/2016 vom
  6. 28. September 2016
  7. European Food Safety Authority (EFSA): Risks for human health related to the presence of pyrrolizidine alkaloids in honey, tea, herbal infusions and food supple-ments. EFSA Journal 2017;15(7):4908
  8. Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Aktualisierte Risikobewertung zu Gehalten an 1,2-ungesättigten Pyrrolizidinalkaloiden (PA) in Lebensmitteln. Stellungnahme Nr. 020/2018 vom 14. Juni 2018
  9. External Scientific Report: Occurrence of Pyrrolizidine Alkaloids in food. EFSA supporting publication 2015:EN-859
  10. European Food Safety Authority (EFSA): Guidance on selected default values to be used by the EFSA Scientific Committee, Scientific Panels and Units in the absence of actual measured Data. EFSA Journal 2012;10(3):2579
  11. Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Bestimmung von Pyrrolizidinalkaloiden (PA) in Nahrungsergänzungsmitteln mittels SPE-LC-MS/MS – Methodenbeschrei-bung. Prüfvorschrift - BfR-PA-NEM-1.0/2018