Faktencheck "Die Menschen-Mäster" (Spiegel, Ausgabe 10/2013)
- In seiner Ausgabe vom 4. März 2013 hat der "Spiegel" die Lebensmittelindustrie als Suchtmacher und Menschen-Mäster bezeichnet. In dem neunseitigen Artikel werden eine Reihe von Behauptungen aufgestellt, zu denen der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde hier Stellung beziehen möchte:
Aussage/Vorwurf: Mit viel Fett, Salz und Zucker macht die Lebensmittelindustrie ihre Produkte attraktiv und ihre Kunden süchtig. (S. 123)
Fakt ist: Nährstoffe wie Fett, Salz und Zucker machen nicht süchtig und sind keine Drogen!
In dem Spiegel-Artikel wird von einer angeblichen Abhängigkeit des Körpers von Fett, Salz und Zucker gesprochen. Als vermeintlicher Beleg wird auf verschiedene Tierstudien verwiesen. Es muss jedoch betont werden, dass sich Ergebnisse aus Tierstudien nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen lassen.
Darüber hinaus sind die Versuchsbedingungen der Tierstudien kritisch zu hinterfragen. Im Allgemeinen werden die Versuchstiere zunächst in einen Hungerzustand versetzt, der natürlich zu Heißhunger und einem starken Verlangen nach Kalorien oder Salz führt. Dies ist jedoch dadurch bedingt, dass es um das Überleben des Organismus geht und hat nichts mit Sucht zu tun. So enthielten Forscher in Studien Nagern z. B. Salz vor und gaben gleichzeitig ein harntreibendes Mittel oder setzten ein Stresshormon ein, das den Salzbedarf erhöht. Mit einem ähnlichen Trick hatten amerikanische Forscher der viel zitierten Studie von Bart Hoebel von der Princeton-Universität ihre Versuchsratten dazu gebracht, regelmäßig große Mengen Zucker zu sich zu nehmen: Den Tieren wurde sozusagen das Frühstück verwehrt, was bei ihnen eine Art Heißhunger auslöste. Um ihn zu stillen, standen jedoch nur Futter und Zuckerwasser zur Verfügung, was die Ratten infolge des Hungers gierig zu sich nahmen.
Fakt ist: Kohlenhydrate, Fett und Salz sind lebensnotwendige Nährstoffe. Das Verlangen zu Essen erfüllt nicht die Diagnosekriterien für eine stoffliche Abhängigkeit!
Kohlenhydrate, Fett und Salz sind lebensnotwendige Nährstoffe und müssen täglich in bestimmten Mengen zugeführt werden. Diese lebensnotwenige Zufuhr ist jedoch ganz klar zu unterscheiden vom sogenannten Abhängigkeitssyndrom. Dieser medizinische Begriff beschreibt auf das Verhalten bezogene, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholter Einnahme von psychotropen Substanzen entwickeln. Umgangssprachlich wird das Abhängigkeitssyndrom oft als Abhängigkeit, Sucht oder Drogenmissbrauch bezeichnet. Zur Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms müssen mindesten drei der folgenden Kriterien/Störungen während des letzten Jahres gleichzeitig erfüllt sein:
- Starkes, oft unüberwindbares Verlangen, die Substanz einzunehmen
- Schwierigkeiten, die Einnahme zu kontrollieren (was den Beginn, die Beendigung und die Menge des Konsums betrifft)
- Körperliche Entzugssymptome
- Benötigen immer größere Mengen, damit die gewünschte Wirkung eintritt
- Fortschreitende Vernachlässigung anderer Verpflichtungen, Aktivitäten, Vergnügungen oder Interessen (das Verlangen nach der Droge wird zum Lebensmittelpunkt!)
- Fortdauernder Gebrauch der Substanz(en) wider besseres Wissen und trotz eintretenden schädlicher Folgen.
Das Verlangen nach lebensnotwendigen Nährstoffen erfüllt die Diagnosekriterien für eine stoffliche Abhängigkeit nicht!
Fakt ist: Eine Ausschüttung von Glückhormonen bedeutet nicht das Vorliegen einer Sucht!
Die Behauptung, bestimmte Nährstoffe würden süchtig machen, wird häufig mit einer Serotonin- oder Dopaminausschüttung begründet. So zeigte die oben erwähnte Studie von Bart Hoebel, dass im Gehirn der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet wurde, nachdem Ratten Saccharose oder Glukose aufgenommen hatten. Zwar wurde bei den Tieren auch nach der Verabreichung von Drogen eine Dopaminausschüttung beobachtet. Professor David Benton von der Swansea Universität in Großbritannien weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nicht nur nach dem Verzehr von Zucker, sondern nach dem Verzehr von schmackhaftem Essen generell und in Folge aller „natürlichen Belohnungen“ (z. B. Musikhören, ein Gewinn, ein freundliches Gesicht) ebenfalls eine Dopaminausschüttung messbar ist. Zudem unterscheiden sich die Reaktionsmuster des Gehirns auf Drogen erheblich von dem Reaktionsmuster des Gehirns auf „natürliche Belohnungen“. So nimmt z. B. bei wiederholter Gabe von Lebensmitteln die Dopaminausschüttung ab, bei Drogen hingegen nicht. Nach Diätphasen treten seltener Heißhungerattacken auf, was laut der Sucht-Hypothese genau umgekehrt sein müsste. Es reicht also nicht, lediglich die Dopaminausschüttung zu betrachten, um eine Parallele zwischen der Reaktion des Körpers auf Lebensmitteln und Drogen zu ziehen.
Aussage/Vorwurf: Der Verzehr von stärke- und fetthaltigen Lebensmitteln führt zu Heißhunger auf eine weitere Zufuhr. („Und dann sind da natürlich die Stoffe, die als Köder für das Gehirn dienen“. S.123)
Fakt ist: Kartoffelchips haben einen mittleren Glykämischen Index und besitzen nur eine mittlere Blutzuckerwirksamkeit.
Nach dem Verzehr von Kohlenhydraten müssen diese im Rahmen des Verdauungsprozesses zunächst in ihre Bestandteile zerlegt werden, bevor sie im Darm aufgenommen und in den Blutkreislauf geleitet werden können. Dies trifft für Haushaltszucker genauso zu wie für so genannte „komplexere Kohlenhydrate“ wie z. B. Stärke. Wie schnell oder langsam dieser Vorgang abläuft und wie stark oder weniger stark der Blutzuckerspiegel infolge dessen ansteigt (Blutzuckerwirksamkeit von Kohlenhydraten), hängt von verschiedenen Faktoren ab. Neben der Art des Kohlenhydrates ist dabei die Zusammensetzung des gesamten Lebensmittels bzw. der aufgenommenen Mahlzeit, d.h. die Anwesenheit anderer Nährstoffe und von Ballaststoffen entscheidend. Nur, weil ein Lebensmittel Stärke enthält, bedeutet dies also nicht, so wie in dem Spiegel-Artikel im Zusammenhang mit Kartoffelchips behauptet, dass der Blutzuckerspiegel nach dem Verzehr hochschnellt und rasch wieder absinkt, sodass der Appetit noch verstärkt wird. Stärke dient nicht als Köder für das Gehirn! Im Gegenteil: Stärkehaltige Lebensmittel wie z. B. Kartoffeln und Nudeln sind ein elementarer Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung.
Die Blutzuckerwirksamkeit von Kohlenhydraten wird mit Hilfe des Glykämischen Index (GI) bestimmt. Kartoffelchips, die in dem Spiegel-Artikel mit einer schnellen Blutzuckerwirksamkeit in Verbindung gebracht werden, haben einen mittleren GI und besitzen nur eine mittlere Blutzuckerwirksamkeit.
Auch ein Heißhunger auf Fett wird in dem Spiegel-Artikel postuliert. Als Begründung werden kürzlich entdeckte Geschmacksrezeptoren in der Zunge angeführt, die spezifisch auf fettreiche Nahrung reagieren würden. In der Folge würden sie jenes System im Hypothalamus aktivieren, das auch von der Droge Cannabis angesprochen wird. Tatsächlich haben Forscher im Jahr 2011 in den Geschmacksknospen der Zunge einen Rezeptor identifiziert, der auf langkettige Fettsäuren reagiert. „Dies als Beweis für die Existenz einer sechsten Grundgeschmacksqualität fettig zu sehen, wäre aber sicher vorschnell“, sagte Wolfgang Meyerhof, Leiter der Abteilung Molekulare Genetik am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) dazu. „Hierfür müsste man nachweisen, dass das durch den Fettrezeptor ausgelöste Signal über spezialisierte Geschmackszellen und nachgeschaltete Nervenbahnen als Geschmackssignal ans Gehirn weitergeleitet wird“, erklärt Dr. Maik Behrens (DIfE).
Aussage/Vorwurf: „Mehr Zucker in der Ernährung führte überall zu höheren Diabetes-Raten.“ (S. 127)
Fakt ist: Zucker macht nicht zuckerkrank.
Laut der Ergebnisse der Kohlenhydratleitlinie der DGE aus dem Jahr 2011 sprechen die überwiegende Mehrzahl von Kohortenstudien sowie eine große randomisierte Interventionsstudie dagegen, dass „Zucker zuckerkrank“ macht. Demzufolge ist die Evidenz für einen fehlenden Zusammenhang zwischen dem Kohlenhydratanteil der Ernährung und dem Risiko für Diabetes mellitus Typ-2 überzeugend. Die Evidenz für einen Zusammenhang zwischen der Gesamtmenge aufgenommener Mono- und Disaccharide und dem Risiko für Diabetes mellitus Typ-2 wird als unzureichend eingestuft. Ebenso ist die Evidenz für einen Zusammenhang zwischen der Zufuhr von Glucose und Fructose und dem Diabetesrisiko unzureichend.
Neben einer genetischen Disposition ist und bleibt der bei Weitem bedeutsamste Risikofaktor für die Manifestation eines Diabetes Typ-2 Übergewicht, insbesondere bei stammbetontem Fettverteilungsmuster. Es gibt keinerlei wissenschaftlichen Belege dafür, dass so wie es in dem Spiegel-Artikel postuliert wird Zucker das Insulin-System abstumpfen lässt und hieraus Diabetes entsteht.
Aussage/Vorwurf: Kohlenhydrate werden in Fett umgewandelt. (S. 128)
Fakt ist: Tatsächlich ist der Körper in der Lage, Kohlenhydrate in Fett umzuwandeln. Dies geschieht aber nur unter sehr extremen Bedingungen, d. h bei positiver Energiebilanz unter extrem hoher Kohlenhydratzufuhr. Solch eine hohe Kohlenhydratzufuhr hat jedoch für die praktische, orale Ernährung keine Relevanz.
Aussage/Vorwurf: „Die meisten Menschen nehmen inzwischen viel mehr Salz zu sich, als sie brauchen.“ (S. 126)
Fakt ist: Der DGE-Ernährungsbericht zeigt eine moderate Aufnahme von Salz und auch Zucker.
Laut aktuellem Ernährungsbericht 2012 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. beträgt die Salzaufnahme bei Frauen im Mittel 4,9g/Tag und bei Männern 7g/Tag. Damit liegen Frauen deutlich unter und Männer nur knapp über dem Richtwert der DGE in Höhe von maximal 6g/Tag.
Laut aktuellem Ernährungsbericht 2012 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. ist beträgt die Aufnahme von Saccharose bei Männern 55g/Tag und bei Frauen 49g/Tag und ist damit verhältnismäßig niedrig.
Aussage/Vorwurf: Ein erhöhter Salzkonsum ist mit einem vergrößerten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, wie Bluthochdruck und Herzinfarkt verbunden. (S. 129)
Fakt ist: Ergebnisse einer umfangreichen Metastudie zeigen, dass eine Beschränkung beim Salzkonsum zwar tatsächlich eine Senkung des Blutdrucks bewirkt, allerdings nur minimal.
Tatsächlich konnte in Studien zwar gezeigt werden, dass es unter den Personen mit Bluthochdruck eine Subgruppe erkrankter Personen gibt, die auf eine erhöhte Salzzufuhr mit einem Blutdruckanstieg reagiert (so genannte salzsensitive Personen). Hierbei handelt es sich aber nur um etwa 1/5 der betroffenen Personen mit Bluthochdruck.
Ergebnisse einer umfangreichen Metastudie zeigen, dass eine Beschränkung beim Salzkonsum zwar tatsächlich eine Senkung des Blutdrucks bewirkt, allerdings nur minimal. So sinkt der obere ("systolische") Blutdruckwert unter salzarmer Ernährung im Durchschnitt nur um 1,27 mmHg. Der untere ("diastolische") Blutdruckwert geht lediglich um 0,05 mmHg zurück. Diese minimale Verringerung des Blutdrucks wird jedoch durch eine Zunahme verschiedener Stoffwechselparameter erkauft. So steigen unter der salzarmen Ernährung die Stresshormone Renin, Aldosteron, Adrenalin und Noradrenalin statistisch signifikant an.
Eine weitere Metastudie aus dem Jahr 2010 zeigte bei salzarmer Ernährung eine um 95 Prozent höhere Gesamtsterblichkeit im Vergleich zur Normalkost. Das Risiko des plötzlichen Herztodes war unter Salzreduktion um 72 Prozent und das eines Todes durch Herzversagen um 123 Prozent erhöht. Die 2.747 Teilnehmer der Studien litten an Herzversagen und nahmen entweder normale oder stark eingeschränkte tägliche Salzmengen zu sich. Untersucht wurde ihre Gesamtsterblichkeit, das Auftreten eines plötzlichen Herztodes und die Einweisung in eine Klinik mit der Diagnose Herzversagen.
Kochsalz (NaCl = Natriumchlorid) ist ein unverzichtbares Lebenselement und unentbehrlicher Bestandteil des Organismus. Es reguliert den gesamten Wasserhaushalt, hält die Gewebespannung aufrecht und aktiviert viele Stoffwechselvorgänge. Natrium und Chlorid wirken auch als Signalstoffe, um Informationen im Nervensystem weiterzuleiten.
Der Verzicht auf Salz kann bei älteren Menschen besonders riskant sein. Ältere Menschen sind schneller satt, haben weniger Durst und trinken zu wenig.
Aussage/Vorwurf: „Die Hoffnung darauf, dass die Konzerne freiwillig gesündere Produkte auf den Markt brächten und sich um Wohl und BMI der Konsumenten sorgen, sei etwa so, als würde man Einbrecher damit beauftragen, Türschlösser zu installieren.“ (S. 124)
Fakt ist: Die Lebensmittelwirtschaft bietet bereits heute eine Vielzahl von Produktvarianten in den verschiedenen Produktkategorien an.
Ob im Bereich Margarine, Butter, Käse, Brotaufstriche, Salatdressings, Mayonnaise, Erfrischungsgetränke, Süßwaren oder Knabberartikel fast zu jedem Produkt sind alternative Angebote erhältlich, die kalorien-, zucker- und/oder fettreduziert sind. Und auch im Bereich der Verpackungsgrößen findet der Verbraucher heute eine große Vielfalt vor. Pro Warengruppe kann im Schnitt aus über sieben verschiedenen Verpackungsgrößen gewählt werden.
Jede Forderung nach einer Verringerung des Zucker-, Salz- und /oder Fettgehalts muss realisieren, dass es sich bei einer Veränderung der Lebensmittelrezeptur um einen sehr komplexen und äußerst kostenintensiven Prozess handelt, dem eindeutig Grenzen gesetzt sind. Dies hängt vom Produkt selbst ab, von technologischen Möglichkeiten, sensorischen Grenzen und Sicherheitsfaktoren sowie selbstverständlich von der Akzeptanz des Verbrauchers. Um eine entsprechende Verbraucherakzeptanz zu gewährleisten, müssen Geschmack, Aussehen, Mundgefühl, Konsistenz, Haltbarkeit etc. in vergleichbarer Qualität zu den Ursprungsprodukten erhalten bleiben. Zum einen ist dies nicht immer realisierbar und zum anderen darf nicht vergessen werden, dass reduzierte Nährstoffe durch andere Stoffe substituiert werden müssen.
Aussage/Vorwurf: „Eine Milliarde Euro soll der europäische Interessensverband der Lebensmittelindustrie für die Kampagne gegen die Ampelkennzeichnung ausgegeben haben.“ (S.129)
Fakt ist: Eine Milliarde Euro wurden für die Umsetzung der freiwilligen GDA-Kennzeichnung aufgebracht.
Die Zahl, eine Milliarde Euro, wurde von FoodDrinkEurope tatsächlich selbst genannt. Allerdings handelt es sich um die Höhe des Aufwands, den die Lebensmittelhersteller europaweit aufbringen mussten, um die freiwillige GDA-Kennzeichnung in der Praxis, also auf den Etiketten, umzusetzen. Mit politischen Aktivitäten hat diese Zahl also nichts zu tun. Eine Milliarde Euro wurden quasi für die Aufklärung der Verbraucher benötigt.
Aussage/Vorwurf: „In einer Recherche identifiziert die Verbraucherorganisation Foodwatch 1.514 Produkte, die sich in Aufmachung und Platzierung an Kinder richten. [...] Rund 73 Prozent dieser Kinderprodukte sind süße oder fettige Snacks.“ (S. 130)
Fakt ist: Die Auswahl der sog. "Kinderlebensmittel" durch Foodwatch erfolgte rein willkürlich, da es keine Definition für „Kinderlebensmittel“ gibt.
Die Ergebnisse Foodwatch-Reports zu sog. "Kinderlebensmitteln" halten einer näheren Überprüfung nicht stand. Der Report ist einseitig und die daraus abgeleiteten Forderungen sind überzogen. Die Auswahl der sog. "Kinderlebensmittel" durch eine eher unmethodische Recherche ist willkürlich und folgte offenbar nur dem Ziel, möglichst viele Produkte in eine "rote" also negative Kategorie einsortieren zu können. So existiert beispielsweise keine Definition von "Kinderlebensmitteln". Die genannte Zahl von 1.514 Produkten täuscht zudem darüber hinweg, dass dieser Anteil am Gesamtsortiment nur sehr klein ist. Vergleicht man diese Zahl mit dem Angebot von rund 100.000 Artikeln in einem durchschnittlich großen Supermarkt, so machen "Kinderlebensmittel" gerade einmal 1,5 Prozent aus.
Foodwatch verkennt, dass es keine "gesunden" oder "ungesunden" Lebensmittel gibt, sondern nur eine unausgewogene oder ausgewogene Ernährung. In einer ausgewogenen Ernährung haben auch sog. "Kinderlebensmittel" ihren Platz. Die von Foodwatch erhobenen Forderungen, ausschließlich "ausgewogene" Lebensmittel herzustellen und zu bewerben, sind deshalb überzogen.
Allgemeine Fakten:
Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass der Konsum einzelner (fett- und oder zuckerhaltiger) Lebensmittel für die Entstehung von Übergewicht verantwortlich gemacht werden kann.
Studien zum Ernährungsverhalten von Kindern in Deutschland belegen, dass sich weder das Ernährungsmuster noch der Verzehr einzelner Lebensmittel maßgeblich auf den Ernährungszustand auswirken. Es stellt sich sogar heraus, dass übergewichtige Kinder z. B. nicht häufiger Süßwaren als normalgewichtige Kinder verzehren und sich zwischen normal- und übergewichtigen Kindern insgesamt nur wenige Unterschiede in der Lebensmittelauswahl feststellen lassen. Dies bekräftigt auch eine international angelegte Studie, die in 31 von 34 Ländern folgende Beziehung zwischen dem Body-Mass-Index (BMI) und dem Süßigkeitenverzehr bei Kindern aufgezeigt hat: Bei Kindern mit einem hohem BMI war der Süßwarenverzehr niedrig und bei Kindern mit einem niedrigen BMI war er hoch. Zahlreiche nationale und internationale Studien zeigen sogar, dass ein höherer Zuckerkonsum mit einem niedrigeren BMI einhergeht. Dies konnte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene festgestellt werden und war generell unabhängig von der Verzehrsform des Zuckers (flüssiges oder festes Lebensmittel).
Es ist nicht sinnvoll und nicht zielführend an allem Süßen vorbei zu navigieren.
Eine Reihe von Untersuchungen belegen, dass ein allzu restriktiver Umgang mit einzelnen Lebensmitteln zu einem gestörten Essverhalten (wie z. B. einer regiden Kontrolle) beitragen kann. Verbote für einzelne Lebensmittel oder Lebensmittelgruppen auszusprechen oder sich selber solche aufzuerlegen, ist also der falsche Weg und führt eher zu nachteiligen Effekten. Um das Gewicht dauerhaft zu reduzieren und zu halten, ist ein flexibles Essverhalten wesentlich effektiver. Der Langzeit-Mix, d.h. die Ausgewogenheit der Ernährung über einen längeren Zeitraum, zählt. Dabei hat in diesem Langzeit-Mix durchaus jede Lebensmittelgruppe und jedes einzelne Lebensmittel seinen Platz.
Übergewicht stellt ein vielschichtiges und gesamtgesellschaftliches Problem dar, dessen Lösung umfassender, ganzheitlicher Ansätze bedarf..
Bei der Entstehung von Übergewicht spielen viele lebensstilabhängige und lebensstilunabhängige Faktoren eine Rolle. Dazu gehören neben dem Ernährungsverhalten insbesondere die genetische Veranlagung sowie sozioökonomische Faktoren (Bildungsstand, soziale Schicht, Herkunft), geringe körperliche Aktivität und psychosoziale Aspekte. Eine wichtige Ursache ist dabei Bewegungsmangel bzw. der gesamte Lebensstil, denn Übergewicht ist die Folge eines Ungleichgewichts von Kalorienaufnahme und Kalorienverbrauch. So bewegen sich vor allem Kinder und Jugendliche heute deutlich weniger als vor zehn oder 20 Jahren. Die Ergebnisse der EsKiMo-Studie zeigen gleichzeitig, dass die durchschnittliche Energiezufuhr bei Jungen mit 103 Prozent nur geringfügig über und bei den Mädchen mit 96 Prozent sogar leicht unter den Empfehlungen der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Ernährung liegt. Auch die Ergebnisse der Nationalen Verzehrsstudie weisen darauf hin, dass sich in den letzten Jahren weniger die Kalorienaufnahme, sondern vielmehr der Kalorienverbrauch ungünstig verändert hat. Sie zeigen, dass die mittlere Energiezufuhr bei Frauen und Männern den Richtwerten der DGE für eine Energiezufuhr bei geringer körperlicher Aktivität entspricht.
Es ist deshalb nicht zutreffend, Übergewicht allein auf die Ernährung zurück zu führen und hierfür wiederum ausschließlich die Lebensmittelwirtschaft verantwortlich zu machen.
Die Bekämpfung von Übergewicht und Adipositas muss als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden. Alle gesellschaftlichen Bereiche sind aufgefordert zusammenzuwirken und dazu beizutragen, insbesondere jungen Menschen Kompetenzen zu vermitteln sowie ihre Selbstverantwortung zu stärken. Sie sollten in die Lage versetzt werden, bewusst einen aktiven, gesunden Lebensstil zu entwickeln. Das Verbot des Verzehrs bestimmter Lebensmittel ist wissenschaftlich belegt der falsche Weg und stellt eine ungerechtfertigte Diskriminierung dieser Lebensmittel dar. Eine gesunde, ausgewogene Ernährung setzt auf das breite Produktangebot, wobei ein Ausschluss bestimmter Lebensmittel unnötig ist.