Kurzposition des Lebensmittelverbands Deutschland zur Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ der Europäischen Kommission
- Die Europäische Kommission hat am 20. Mai 2020 im Rahmen des Grünen Deals die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ („Farm to Fork“) vorgestellt. Der Lebensmittelverband Deutschland als Repräsentant der gesamten Lebensmittelwertschöpfungskette „vom Acker bis zum Teller“ veröffentlicht dazu unten stehende Kurzposition.
Umweltfreundlich, gesundheitsfördernd, sozial und wirtschaftlich – nachhaltige Lebensmittel heute und in Zukunft
Die Europäische Kommission hat am 20. Mai 2020 im Rahmen des Grünen Deals die Strategie „Vom Hof auf den Tisch (Farm-to-Fork)“ für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem vorgestellt. Der Lebensmittelverband Deutschland als Repräsentant der gesamten Lebensmittelwertschöpfungskette „vom Acker bis zum Teller“ unterstützt das übergeordnete Ziel und sieht eine nachhaltige, ressourcenschonende Lebensmittelproduktion und die gesellschaftliche Verantwortung der Branche für die Menschen, die Tiere und die Umwelt als zentrale Aufgabe an. Mit Blick auf die planetaren Grenzen ist dabei die größte Herausforderung, die wachsende Weltbevölkerung bei gleichzeitig abnehmender Rohstoffverfügbarkeit weiterhin zuverlässig mit sicheren und hochwertigen Lebensmitteln zu versorgen. Dies gelingt nur, wenn Nachhaltigkeit immer umweltfreundlich, gesundheitlich, sozial und wirtschaftlich gedacht und umgesetzt wird.
Das leisten wir bereits:
Wir, die Lebensmittelwirtschaft, engagieren uns in Form zahlreicher Maßnahmen und Initiativen, die wir weiter ausbauen und vertiefen wollen, um eine noch nachhaltigere Erzeugung, Veredelung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln gewährleisten zu können. Unsere Lösungsansätze reichen vom Lieferketten- und Rohstoffmanagement über Energieeffizienz und Abfallvermeidung in der Produktion bis hin zu gemeinsamem sozialen Engagement mit den Kunden. Die Wiederverwendung, Wiederverwertung und Sammlung von Verpackungsmaterialien, ebenso wie die Reduzierung von Lebensmittelverlusten sowie der Bodenschutz, Einsatz pflanzlicher Proteinquellen und die stetige Weiterentwicklung der Produktpalette leisten bereits heute einen bedeutsamen Beitrag zu der Gestaltung nachhaltigerer Lebensmittelsysteme.
Hieran werden wir weiterhin verstärkt arbeiten:
WIR HANDELN UMWELTFREUNDLICH
- Wir setzen auf die Verringerung des Verbrauchs an Energie, Wasser und Rohstoffen sowie eine Optimierung von Transport- und Logistikprozessen.
- Wir investieren in der Landwirtschaft in Maßnahmen, die CO2 binden.
- Wir reduzieren vermeidbare Lebensmittelabfälle auf allen Stufen der Lebensmittelkette.
- Wir sind bestrebt, den Einsatz von Verpackungsmaterialien sowie deren Wiederverwendung, Wiederverwertung und Sammlung zu optimieren und Innovationen in diesem Bereich voranzutreiben.
WIR HANDELN GESUNDHEITSFÖRDERND
- Wir bieten eine Vielfalt von sicheren und hochwertigen Lebensmitteln (170.000 Produkte) – für jeden individuellen Lebensstil und -bedarf – an.
- Wir optimieren den Nährstoffgehalt unserer Produkte und klären über Inhaltsstoffe und Nährwerte auf.
- Wir setzen alternative Proteinquellen und neue Technologien ein.
WIR HANDELN SOZIAL
- Wir wahren Menschenrechte, Arbeitsstandards und eine faire Entlohnung entlang der Lieferkette. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sind für uns maßgeblich.
- Wir übernehmen Verantwortung für globale Lieferketten, Arbeitsplätze und Wertschöpfung.
- Wir arbeiten an verbesserten Haltungsbedingungen, denn das Wohl von und der angemessene Umgang mit Nutztieren wie Schweinen, Rindern oder Geflügel sind für uns ein großes Anliegen.
WIR HANDELN WIRTSCHAFTLICH
- Wir streben nach einem stabilen Wachstum, das Investitionen in Nachhaltigkeit sowie Forschung und Entwicklung sicherstellt und Arbeitsplätze erhält bzw. schafft.
- Wir orientieren uns an den Wünschen der Verbraucher:innen und setzen auf Freiwilligkeit, um den freien Wettbewerb nicht zu gefährden.
Das erwarten wir von der Politik bei der Umsetzung der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“:
BERÜCKSICHTIGUNG DER FOLGEN DER CORONA-PANDEMIE
Die Strategie der Kommission wurde noch vor der Corona-Krise konzipiert, weshalb deren Auswirkungen, die bis heute nicht vollständig absehbar sind, nicht berücksichtigt sind. Da viele Bereiche der Lebensmittelwirtschaft von der Corona-Krise finanziell stark getroffen wurden und sich gerade kleine und mittelständische Betriebe in den kommenden Monaten wirtschaftlich erst stabilisieren müssen, muss nun eine zielorientierte Diskussion über die erforderliche Priorisierung und die Umsetzbarkeit der einzelnen Aspekte aus der Strategie geführt werden. Dabei muss geprüft werden, was mit Blick auf die Bewältigung der Corona-Krise wichtig und leistbar ist und vor allem, wozu es gemeinsame europäische Lösungen geben kann, die von allen Mitgliedstaaten mitgetragen werden (können). Insgesamt gilt es deshalb, den Aufbruch aus der Corona-Krise heraus mit den Zielen der Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen, und dabei die Digitalisierung und die Ausrichtung von Förderprogrammen auf Nachhaltigkeit als wichtige Instrumente zu nutzen.
VALIDE FOLGENABSCHÄTZUNGEN UND „NACHHALTIGKEITSTEST“ ZUR VORAUSSETZUNG ALLER MASSNAHMEN MACHEN
Der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ fehlt neben der Einbeziehung der Krisenfolgen eine zusammenfassende Bewertung aller vorgeschlagenen Maßnahmen und Ansätze in Bezug auf die verfolgten Ziele. Es ist deshalb notwendig, dass alle dort erwähnten Erkenntnisgrundlagen und Daten, die als Basis für konkrete Regulierungsziele wie die Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln dienen, offengelegt werden.
Nur so ist ersichtlich, wo es noch Klärungs- und Forschungsbedarf gibt. Außerdem muss über neue Nachhaltigkeitstests dargelegt werden, welche Maßnahme wirklich zu mehr Nachhaltigkeit bei Lebensmittelherstellung und Konsum führt.
WISSENSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN SCHAFFEN
Basis jeder Regelungs- und sonstigen Initiative im Rahmen der neuen Nachhaltigkeitsstrategie muss eine verlässliche wissenschaftliche Bewertung und Datengrundlage sein. Das ist eine grundlegende Verpflichtung aus der Basis-Verordnung zum Lebensmittelrecht (Verordnung (EG) Nr. 178/2002), die seinerzeit das Herzstück der „Vom-Hof-auf-den-Tisch“-Strategie des Weißbuchs zur Lebensmittelsicherheit aus dem Jahre 2000 war. Objektive und wissenschaftlich valide Kriterien sind zudem unabdingbar für eine Auflösung der bestehenden Zielkonflikte und eine angemessene Priorisierung der vielfältigen Nachhaltigkeitsziele und deren Umsetzung. Beispiel: Bevor der EU-Umweltfußabdruck (PEF) zukünftig eine Basis für einheitliche Messungen bilden kann, muss weiter an einer Anwendbarkeit für alle Produkte geforscht werden.
FOKUS AUF VERSORGUNGS- UND LEBENSMITTELSICHERHEIT LEGEN
Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass die Gewährleistung der Versorgung mit sicheren Lebensmitteln in Krisenzeiten essenziell ist und in Europa – trotz großer Herausforderungen wie geschlossener Grenzen und veränderter Betriebsabläufe durch neue Sicherheits- und Hygienekonzepte und dank des unermüdlichen Einsatzes der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Branche – nahezu reibungslos funktioniert hat. Die Versorgungs- und Lebensmittelsicherheit sollte immer im Fokus und Bestandteil aller neuen Nachhaltigkeitsansätze sein.
SCHUTZ UND FÖRDERUNG DES BINNENMARKTES
Die Gewährleistung eines funktionierenden Binnenmarktes muss oberstes Ziel bleiben. Deshalb sind gerade neue Herkunftskennzeichnungsverpflichtungen daraufhin zu prüfen, ob sie mit diesem Ziel vereinbar sind – und was sie tatsächlich für das Ziel eines nachhaltigen Lebensmittelsystems leisten können. Viele mitgliedstaatliche Regelungen der vergangenen Jahre waren vor allem protektionistisch motiviert und können deshalb kein Vorbild für europäische Ansätze sein.
ANREIZE SCHAFFEN FÜR INVESTITIONEN IN FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG
Anreize für Investitionen sowie Forschung und Entwicklung sind wichtige Kernelemente auf dem gemeinsamen Weg zu nachhaltigeren Lebensmittelsystemen, die mit marktwirtschaftlichen Grundsätzen vereinbar und an den Zielen der Agenda 2030 orientiert sind. Denn ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele werden nur dann erreicht werden können, wenn sie einhergehen mit einer Stärkung auch der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Unternehmen in der Europäischen Union – auf allen Ebenen von der Landwirtschaft über Handwerk, Industrie und Handel bis hin auch zu allen Zuliefer- und sonst betroffenen Wirtschaftsbereichen. Diese vielleicht größte Herausforderung für die neue europäische Nachhaltigkeitsstrategie muss deshalb im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen, egal zu welchen Nachhaltigkeitszielen.
DIE NACHFRAGE BESTIMMT DAS ANGEBOT – REZEPTUREN MÜSSEN IN DER VERANTWORTUNG DER UNTERNEHMEN BLEIBEN
Die Lebensmittelwirtschaft befasst sich seit jeher mit der Entwicklung innovativer Produkte und orientiert sich dabei an dem Bedarf der Verbraucher. Die Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Lebensmitteln ist die Kernkompetenz von Unternehmen. Konsumlenkende Maßnahmen wie Steuern, Werbeoder Produktverbote, die Verbraucher:innen bevormunden, bedeuten einen staatlichen Eingriff in die Rezeptur- und Wettbewerbsfreiheit der Unternehmen und sind nicht zielführend.
EINIGUNG AUF EINE EINHEITLICHE, FREIWILLIGE NÄHRWERTKENNZEICHNUNG FÜR DIE VERPACKUNGSVORDERSEITE
Europäisch einheitliche Ansätze für eine zusätzliche, freiwillige Nährwertkennzeichnung auf der Schauseite der Lebensmittel sollten das Ziel der Bemühungen der Kommission sein. Die Lebensmittelwirtschaft unterstützt das Anliegen, den Verbrauchern die informierte Kaufentscheidung durch die erweiterte Nährwertkennzeichnung zu erleichtern. Nun gilt es, sich auf einen „europäischen“ Ansatz zu verständigen.
VERBRAUCHER:INNEN ZU NACHHALTIGEM KONSUM BEFÄHIGEN
Damit Verbraucher:innen in der Lage sind, bewusste nachhaltigere Kaufentscheidungen zu treffen, benötigen sie ausreichende Informationen und das Verständnis, um diese einordnen zu können. Als Verbraucherinformationen stehen neben der umfangreichen Pflichtkennzeichnung freiwillige Informationsangebote, z. B. auf der Verpackung, digital oder über staatliche und private Siegel zur Verfügung. Bei zusätzlichen Pflichtinformationen ist zu gewährleisten, dass diese sinnvoll, verständlich, verhältnismäßig und realisierbar sind. Die Befähigung zu einem nachhaltigeren Konsum muss vorrangig durch Verbraucherbildung gefördert werden.
Die deutsche Lebensmittelwirtschaft
Die deutsche Lebensmittelwirtschaft, die vorwiegend mittelständisch geprägt ist, sichert die angebotene Vielfalt von rund 170.000 Lebensmitteln zu bezahlbaren Preisen. Sie stellt Arbeitsplätze für zwölf Prozent der Erwerbstätigen und investiert durchgehend in die Zukunft des Arbeitsmarkts am Standort Deutschland. Insgesamt sorgen über fünf Millionen Menschen in 700.000 Betrieben dafür, dass über 82 Millionen Bürger:innen in Deutschland sowie eine Vielzahl von Menschen weltweit, täglich sichere und hochwertige Lebensmittel genießen können. Die deutsche Lebensmittelwirtschaft umfasst dabei die gesamte Lebensmittelkette – von der Erzeugung, Veredelung, Verarbeitung bis zur Vermarktung an den Endverbraucher.
Eine englische Version gibt es hier.