Der BLL und die Geschichte der Lebensmittelzusatzstoffe und des Zusatzstoffrechts

Mit der Verwendung von Zusatzstoffen bei der Herstellung von Lebensmitteln – bis 1974 Fremdstoffe – war der BLL seit seiner Gründung in besonderem Maße befasst: Zum einen mit der Rechtsetzung und zum anderen mit einer fortwährenden Kritik von „Außen“.

Eine Auswahl von verschieden farbigen Macarons, fotografiert auf der ISM in Köln.

Macarons auf der ISM in Köln.

© Lebensmittelverband Deutschland e. V.
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Die Rolle des BLL

Das „Zusatzstoffrecht“ hat in den sechs Jahrzehnten Reformen, Neuausrichtungen und Änderungen erfahren, und zwar durch die Gesetzgebung in Deutschland wie auch in zunehmendem Maße durch die Europäische Union. Der BLL hat dabei die Interessen der Lebensmittelwirtschaft zusammen mit den einzelnen Branchen und Unternehmen koordiniert, gebündelt und – in den allermeisten Fällen – als gemeinsame Position gegenüber dem deutschen Gesetz- und Verordnungsgeber sowie gegenüber der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament vertreten. Durch die dabei erworbene Expertise in dieser rechtlich schwierigen und naturwissenschaftlich nicht einfach zu beurteilenden Materie hat der BLL hohes Ansehen gewonnen – intern in der Lebensmittelwirtschaft und bei den Partnern in Politik und Verwaltung. Gerade das Zusatzstoffrecht wirft in der Praxis viele Fragen des Verständnisses und der Interpretation auf; auch deshalb ist der BLL die Anlaufstelle. Auch hat er an (rechts-)wissenschaftlichen Veröffentlichungen mitgewirkt und so meinungsbildend zur Anwendbarkeit des Rechts und damit zur Rechtssicherheit beigetragen.
 

Agitation statt Diskussion

Seit jeher ist der Einsatz von Zusatzstoffen Gegenstand heftiger Angriffe und Auseinandersetzungen. Lebensmittelzusatzstoffe sind ein „gefundenes Fressen“ für Kritiker des modernen Lebensmittelangebotes, insbesondere seiner industriellen Herstellungsmethoden und seiner weltweiten Vermarktung. Dabei finden plakative, griffige Schlagworte wie „Chemie in der Nahrung“, „Gift im Kochtopf“ oder „Unser täglich Gift gib uns heute“ rasch Verbreitung im allgemeinen Sprachgebrauch. Die Gründe dafür, warum über Jahrzehnte mit dieser Thematik „Stimmung gemacht“ werden konnte, sind vielfältig, einer wird sicher die romantisierende Vorstellung vieler Mitbürger von einer möglichst unberührten Natürlichkeit der Lebensmittel sein.

Lebensmittelzusatzstoffe sind ein probates Vehikel, Fundamentalkritik an der industriellen Lebensmittelproduktion generell zu üben. Unbehagen an ihrem Einsatz ist fast schon gesellschaftliches Gemeingut, es gehört zur allgemeinen Befindlichkeit.
 

Vorbehalte seitens Politik

Dass auch Amtsträger diese Vorbehalte teilen, zeigt bereits der Vortrag des damaligen Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Dr. Heinrich Lübke, aus dem Juni 1955 anlässlich der Mitgliederversammlung der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Am Beispiel des zur parlamentarischen Behandlung anstehenden Gesetzes über die Beimischung von chemischen Bestandteilen zu Mehl und damit zum Brot führte er aus, dass er die Nahrungsmittel soweit wie nur möglich vom Zusatz von Chemikalien befreit wissen will. In diesem Zusammenhang plädierte er vorausschauend für das - in der Lebensmittelrechtsreform 1958 verwirklichte – Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, wonach Lebensmittelzusatzstoffe nur dann eingesetzt werden dürfen, wenn sie ausdrücklich zugelassen sind.

Klarstellung des BLL-Präsidenten 1956

Dass sich der BLL schon in seiner Anfangszeit mit polemischen Angriffen auseinandersetzen musste, zeigt die Klarstellung, zu der sich der Präsident in der zweiten Mitgliederversammlung am 5. Juni 1956 veranlasst sah:

„Mag es auch im Blätterwald der Presse mitunter anders klingen: Ich betrachte es als meine Pflicht, an dieser Stelle … eindeutig zu erklären, dass die Lebensmittelwirtschaft den oftmals erhobenen Vorwurf entschieden zurückweisen muss, die Gesundheit der Verbraucher durch leichtfertig gewählte Zutaten und Verfahren zu gefährden oder gar aus Gewinnstreben absichtlich zu schädigen.“
 

Villejuif-Liste

Einen Höhepunkt erreichte die Agitation gegen Lebensmittelzusatzstoffe mit der Verbreitung der sogenannten Villejuif-Liste über ganz Europa. Dieses Flugblatt unterteilte die Zusatzstoffe in drei Gruppen:
 

  • die krebserregenden Gifte
  • die verdächtigen Stoffe und
  • die unschädlichen Stoffe.


Die Liste der – angeblich – krebserregenden Stoffe wurde angeführt von der Zitronensäure (E 330). Böse Zungen behaupten, die Begründung liege darin, dass der Entdecker des sog Citratzyklus der Nobelpreisträger Hans A. Krebs war. Angeblicher Absender des Pamphlets war das Krankenhaus des bei Paris gelegenen Ortes Villejuif, das sich jedoch umgehend davon distanzierte. Dennoch tauchte das Flugblatt über Jahre immer wieder auf – auch unter anderen fiktiven Absendern - und wurde gern von der Presse, von Funk und Fernsehen als Beleg für die Schädlichkeit von Lebensmittelzusatzstoffen und für die Verantwortungslosigkeit der Lebensmittelwirtschaft angeführt. Erst nach langer Zeit lief sich diese Kampagne, deren Urheber nie ermittelt worden sind, offensichtlich tot.
 

Broschüre "Zusatzstoffe"

„Villejuif“ veranlasste den BLL zur Veröffentlichung seiner Broschüre „Zusatzstoffe in Lebensmitteln“, die im Jahre 2015 in der 15. Auflage vorliegt und in mehreren 100.000 Exemplaren an Verbraucher verteilt wurde. Ihre Aussagen zur gesundheitlichen Unbedenklichkeit beruhen ausschließlich auf Erkenntnissen und Wertungen der Wissenschaft. Es war immer das Prinzip des BLL, zu derartigen Fragen die Wissenschaft sprechen zu lassen. So hatte der Wissenschaftliche Beirat des BLL in seiner vielbeachteten Erklärung aus dem Jahre 1983 festgestellt:

„Die Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen ist zur Qualitätssicherung und Vorratspflege notwendig und ermöglicht überdies weite Transportwege. Zusatzstoffe stellen keine Gesundheitsgefährdung dar. Im Übrigen sind viele Lebensmittelzusatzstoffe Inhaltsstoffe natürlicher Lebensmittel. Jeder einzelne dieser Stoffe ist auf seine gesundheitliche Unbedenklichkeit hin sorgfältig geprüft und erst dann amtlich zugelassen worden. Es ist falsch und irreführend, die Zusatzstoffe als „Chemie im Kochtopf“ abzuqualifizieren. Ohne die Verwendung von Zusatzstoffen wäre es nicht möglich, die Bevölkerung unter den Gegebenheiten unserer Industriegesellschaft mit einem reichhaltigen Angebot einwandfreier und wohlschmeckender Lebensmittel zu versorgen. … Der Verzicht auf die Verwendung mancher Zusatzstoffe, insbesondere von Konservierungsstoffen, würde zu einem Risiko für die Gesundheit führen“.

Der BLL sah es seit jeher als seine Aufgabe an, an der Versachlichung der Diskussion um Lebensmittelzusatzstoffe – auf Basis der Wissenschaft – mitzuwirken und nicht etwa den Einsatz von Zusatzstoffen zu propagieren. Ob ein zugelassener Lebensmittelzusatzstoff verwendet wird, hängt von der Konzeption des jeweiligen Lebensmittels ab, und diese liegt ausschließlich in der Verantwortung der Unternehmen. Dem BLL ging und geht es nur darum, den gesetzlich vorgegebenen Zulassungsrahmen für seine Unternehmen zu verteidigen und sie vor unsachlichen, vielfach ideologisch geprägten Angriffen zu schützen.

Die Gesetzgebung (national)

Schon in der ersten Zeit nach Gründung des BLL spielten Regelungen der – damaligen – Fremdstoffe eine wichtige Rolle. Der überlieferte Fremdstoffbegriff wurde zunehmend als wenig exakt und damit ungeeignet hinterfragt und bereits 1956 forderte der BLL-Präsident, ihn durch den Terminus „Zusatzstoffe“ zu ersetzen. Dies allerdings dauerte noch eine geraume Zeit, denn erst 1974 wurde im Rahmen der Gesamtreform des Lebensmittelrechts im Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) der – international geläufige – Begriff „Zusatzstoff“ eingeführt.

Der Zusatzstoffbegriff des LMBG war gegenüber dem ‚Fremdstoff‘ weiter gefasst. Dadurch ergab sich die Notwendigkeit den Zulassungsbedarf neu zu definieren. Der BLL führte hier intensive Diskussionen mit dem Verordnungsgeber. Schließlich kam es zu einer Neuregelung des Zusatzstoffbereiches im Rahmen der sog. Zusatzstoff-Zulassungsverordnung im Dezember 1977.

Reinheitskriterien für Zusatzstoffe wurden in der Zusatzstoff-Verkehrsverordnung niedergelegt. Zwar war mit der Konzentration der Zulassungen in der Zusatzstoff-Zulassungsverordnung ein großer Fortschritt im Hinblick auf Vereinheitlichung und Übersichtlichkeit erzielt worden, dennoch blieben – aus den verschiedensten Gründen – nach wie vor Zulassungen in einigen Produktverordnungen bestehen.

Die Zusatzstoff-Zulassungsverordnung und die Zusatzstoff-Verkehrsverordnung wurden über die Jahre mehrfach geändert und angepasst. Erst am 1. Juni 2013 wurden sie durch unmittelbar geltende EU-Verordnungen abgelöst. Formal aufgehoben oder entsprechend modifiziert sind sie bis heute (April 2015) nicht.
 

Die Gesetzgebung (europäisch)

Im Rahmen der Angleichung des Lebensmittelrechts in der Europäischen Union spielte der Zusatzstoffsektor von Anfang an eine ganz wichtige Rolle. Die erste Regelung, auf die sich die damals sechs Mitgliedsstaaten der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) einigen konnten, war 1962 die Richtlinie über Lebensmittelfarbstoffe. Sie bildete den Anfang für umfassende Harmonisierungsbemühungen.

Über eine Vielzahl von Zwischenschritten in Form von europäischen Richtlinien, umgesetzt in der Zusatzstoff-Zulassungsverordnung bzw. Zusatzstoff-Verkehrsverordnung, wurde schließlich im Jahre 2008 die Rahmenverordnung (EG) Nr. 1333/2008 über Lebensmittelzusatzstoffe - und damit unmittelbar geltendes Recht – erlassen. Basierend auf den darin niedergelegten Grundsätzen
 

  • gesundheitliche Unbedenklichkeit
  • technische Notwendigkeit
  • keine Irreführung


wurden Unionslisten mit den zugelassenen Zusatzstoffen und deren Verwendungsbedingungen erarbeitet, die am 1. Juni 2013 Geltung erlangt haben. Auch diese Listen unterliegen einer fortlaufenden Änderung, Ergänzung, Anpassung und Aktualisierung, auch sie werfen in der Praxis eine Vielzahl von Fragen auf, um deren Beantwortung der BLL sich ständig bemüht – das Zusatzstoffrecht ist und bleibt eine „Never Ending Story“. Dies wird dadurch unterstrichen, dass im Jahre 2010 die Kommission ein Programm zur „Neubewertung zugelassener Lebensmittelzusatzstoffe gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 257/2010“ verabschiedet hat. Bis zum Jahre 2020 muss die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Neubewertung der europaweit zugelassenen Zusatzstoffe vornehmen.